© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Wenn nichts ist, wie es war
Neu auf DVD: Neil Jordans Thriller "Die Fremde in Dir" mit Jodie Foster
Werner Olles

In Michael Winners Rachethriller "Ein Mann sieht rot" ("Death Wish", 1974) muß Charles Bronson als friedlicher New Yorker Architekt einen brutalen Überfall mitansehen, bei dem seine Frau getötet wird und seine Tochter einen unheilbaren Schock erleidet. Weil die polizeilichen Ermittlungen erfolglos bleiben, zieht er fortan als gnadenloser Rächer durch die nächtlichen Straßen und erschießt jugendliche Kriminelle. Der kommerzielle Erfolg dieser Rachestory zog vier Fortsetzungen nach sich ("Death Wish II - IV"). Was in all diesen Filmen auffiel, war weniger ihre unverhohlene Legitimierung von Selbstjustiz, sondern die Unfähigkeit, das Verhalten ihrer Figuren psychologisch zu motivieren.

Auf den ersten Blick erscheint Neil Jordans ("The Crying Game, 1992; "Michael Collins", 1996) Thriller "Die Fremde in Dir" ("The Brave One", 2007) wie eine Hommage an das Selbstjustiz-Genre. Doch schon der zweite Blick erinnert an einen ganz anderen Film, nämlich Martin Scorseses Meisterwerk "Taxi Driver" (1975).

Denn der Radiomoderatorin Erica Bain (Jodie Foster) geht es ähnlich wie dem einsamen Taxifahrer Travis Bickle bei seinem tragischen Kreuzzug gegen die Flut von Schmutz und Niedrigkeit. Mit kühler Eindringlichkeit und analytischer Präzision schildert der ungemein dichte Film die psychischen Deformationen seiner Heldin, die mit ihrem Verlobten David (Naveen Andrews) beim abendlichen Spaziergang im Park von einer Schlägerbande attackiert wird. Während sie selbst schwere Verletzungen erleidet, prügeln die Verbrecher David zu Tode.

Für Erica ist seitdem nichts mehr, wie es war. Ihren Job als Radiomoderatorin kann sie nicht mehr ausüben, die Stadt, die sie einst liebte, erscheint ihr nun düster und gefährlich. Illegal erwirbt sie eine Schußwaffe und wird prompt in einem Laden Zeugin eines brutalen Raubüberfalls, bei dem die Verkäuferin ermordet wird. Es gelingt ihr zwar, den Täter zu erschießen, doch ist ihr bewußt, damit eine Grenze überschritten zu haben. Am Abend spricht sie in ihr Bandgerät, sie habe sich in "eine Fremde" verwandelt. Am nächsten Tag erschießt sie in der U-Bahn zwei Schwarze, die Fahrgäste terrorisieren, einen Tag später tötet sie einen Sadisten, der seit Tagen eine jugendliche Prostituierte in seinem Wagen mißhandelt.

Während die New Yorker Medien von dem "finsteren Racheengel" fasziniert sind, kommt sie mit Hilfe des Polizisten Mercer (Terrence Howard), der sie schon lange verdächtigt, aber schließlich aus Sympathie deckt, auch Davids Mördern auf die Spur - und erschießt sie. In der letzten Szene kehrt sie an den Ort des brutalen Überfalls auf David und sie zurück, doch eine Rückkehr zu ihrem früheren Leben oder zu der Person, die sie einmal war, wird es nicht mehr geben.

"Die Fremde in Dir" ist ein Thriller, der intensive Wirklichbeobachtung mit den mythischen Qualitäten des Genres verbindet und zugleich zeigt, wie der Ausbruch individueller Gewalt mit einem Klima manifester Brutalität und Abstumpfung beginnt. Höchstes Lob verdient die zweifache Oscar-Preisträgerin Jodie Foster für ihre Darstellung zwischen Einsamkeit, Verletztheit, Verzweiflung und Ausweglosigkeit.

Als Bonus gibt es ein Making Of: "Ich durchstreife die Stadt" und fünf nicht verwendete Szenen.

DVD: "Die Fremde in Dir". Warner Home Video-DVD, Hamburg 2008, Laufzeit: ca. 117 Minuten

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