© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  19/08 02. Mai 2008

Im Schatten von Tibet
China: Beim Weltkongreß der Uiguren in Berlin trat mit der Exilpolitikerin Rebiya Kadeer Pekings "Staatsfeindin Nr. 1" auf
Christian Dorn

Nach den jüngsten Unruhen in der seit 1950 von China besetzten Provinz Tibet steht die Politik der kommunistischen Staats- und Parteiführung in Peking wieder im Zentrum des weltweiten Interesses. Die spektakulären Störungen des olympischen Fackellaufes waren Dauerthema in den Nachrichten von New York bis Tokio. Daher forderte Ende April auf dem Kongreß der europäischen Zeitungsverleger in Wien Andreas Cichowicz, ARD-Verantwortlicher für die China-Berichterstattung, daß "wir unsere Scheinwerfer auf die dunklen Seiten von China richten".

Ein besonderes Augenmerk müßte daher auch der Autonomen Region Xinjiang gelten, in der das zentralasiatisch-muslimische Turkvolk der Uiguren lebt. Die im Nordwesten Chinas liegende Provinz, im uigurischen Selbsverständnis auch Ostturkestan genannt, gehörte historisch zu Zentralasien, später dann zur russischen und danach sowjetischen Einflußzone. Erst 1949 wurde es von China annektiert. Deutlich wird dies auch an der Flagge der uigurischen Unabhängigkeitsbewegung mit Stern und Halbmond auf hellblauem Grund.

Der neue chinesische Mandarin-Name Xinjiang heißt soviel wie "Neues Gebiet". Dieses wurde aufgrund seiner Erdöl-, Gas- und Mineralienvorkommen von Peking zur strategisch bedeutsamen Region erklärt. Hier duldet es keinerlei Eigenständigkeit - "weder im kulturellen noch im religiösen oder gar politischen Leben", wie die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) anhand zahlloser Repressionsbeispiele nachweist.

So werden seit 2006 kontinuierlich Mädchen und junge Frauen aus ihren Familien gerissen und in den Osten des Landes verbracht, wo sie - unerreichbar für ihre Angehörigen - in Fabriken arbeiten müssen. Mit dieser Zwangsverschickung junger Frauen, aber auch durch vielfach erzwungene Abtreibungen will Peking die Volksgruppe der etwa zehn Millionen Uiguren schwächen, die bereits heute mit einem Anteil von 40 Prozent in der Minderheit ist. Die Han-Chinesen werden hier - wie in Tibet - systematisch neu angesiedelt. Seit 2003 wird an den Schulen der Provinz nur noch auf chinesisch unterrichtet, obwohl Uigurisch seit 1955 laut Gesetz offizielle Landessprache ist.

So sollen alte uigurische Schriften öffentlich verbrannt und Moscheen geschlossen worden sein. Unter dem Deckmantel des "weltweiten Kampfes gegen den Terror" werden politisch aktive und regimekritische Uiguren brutal verfolgt. Selbst wer nur Traditionen erhalten möchte, riskiert oftmals mehr als "bloß" Freiheit und Gesundheit. Denn keine andere Gruppe der insgesamt 55 ethnischen Minderheiten in der VR China ist so massiver und willkürlicher Gewalt der Sicherheitskräfte ausgesetzt wie die mehrheitlich sunnitischen Uiguren. Nach Angaben der GfbV wurden seit 1998 mindestens 700 Uiguren aus politischen Gründen hingerichtet, so viele Menschen wie nirgends sonst in der Welt. (In Tibet wurde im gleichen Zeitraum ein Tibeter zum Tode verurteilt.)

8.000 Personen gelten seit der Niederschlagung von Protesten in der Stadt Ily 1997 als vermißt. Aus Nachbarstaaten abgeschobene uigurische Flüchtlinge wurden vielfach hingerichtet. Bezeichnend hierfür ist die Situation der 17 in Guantánamo auf Kuba festgehaltenen Uiguren, die vor chinesischen Repressionen nach Afghanistan geflüchtet waren. Obgleich die Unschuld der Inhaftierten bereits vor Jahren bewiesen wurde, befinden sich diese immer noch in dem berüchtigten US-Sonderlager, da nun auch die US-Behörden eine Abschiebung nach China ausschließen. Zugleich sind bislang alle Versuche gescheitert, Drittländer zu einer Aufnahme der Flüchtlinge zu bewegen. Mit Rücksicht auf Peking war bislang keiner der von den USA weltweit rund einhundert angefragten Staaten bereit, die Gefangenen aufzunehmen - auch Kasachstan nicht, wo etwa 300.000 Uiguren leben.

Zudem zählt die GfbV für den Zeitraum 2006/2007 rund 16.000 uigurische Gewissensgefangene, unter ihnen Alim und Ablikim Abdureyim, zwei Söhne von Rebiya Kadeer, der "Mutter der Uiguren". Weil das KP-Regime in Peking die im Exil lebende Menschenrechtlerin bislang nicht mundtot machen kann, rächt es sich mit dem Verfahren der Sippenhaftung an ihren Kindern. Kadeer, die einst im Textilgeschäft zur reichsten Unternehmerin Chinas geworden war und als Vorzeigefrau des chinesischen Volkskongresses galt, hatte dort im Jahre 1997 die Situation ihres Volkes angeklagt.

Zwei Jahre später war sie zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Nach einem "Deal" zwischen Peking und der US-Außenministerin Condoleezza Rice konnte sie nach knapp sechs Jahren Haft in die USA ausreisen. In diesem Jahr wurde sie zum dritten Mal in Folge für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

Als Präsidentin des Weltkongresses der Uiguren, der vergangene Woche in Berlin abgehalten wurde, forderte die mutige Frau, die als "Chinas Staatsfeindin Nr. 1" gilt, im Gespräch mit der JF anstelle eines Boykotts - der leider nicht durchzusetzen sei - von den Präsidenten der westlichen Länder, daß diese China zur Anmahnung der Menschenrechte unter Druck setzen und wenigstens der Olympia-Eröffnungsfeier fernbleiben.

 

Uiguren in Xinjiang / Ostturkestan

Bevölkerung: ca. 9 Millionen von 19 Millionen Einwohnern der Provinz sind Uiguren, Religion: sunnitischer Islam

Foto: Rebiya Kadeer (M.) in Berlin: Boykott der Olympia-Feierlichkeiten

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen