© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Im Reich der Mitte: Ehemalige wilhelminische Kolonie rüstet sich für Olympia 2008
Tsingtau - Auf deutschen Spuren in China
Christian Dorn

Wenn die Olympischen Spiele im Sommer am Ende nicht doch noch boykottiert werden, wird auch die einstige deutsche Kolonie Tsingtau ins Blickfeld geraten. Denn dort, vor der nordostchinesischen Küste, liegt die Austragungsstätte der Segelwettbewerbe. Wäre die Weltgeschichte etwas anders verlaufen, hätte die Stadt bis eben noch unter deutscher Verwaltung gestanden. Denn Ende 1897 hatten deutsche Soldaten auf Befehl von Kaiser Wilhelm II. die Bucht von Tsingtau besetzt. Daraufhin war mit der Pekinger Regierung ein Pachtvertrag über eine Laufzeit von 99 Jahren geschlossen worden. Folglich erlebte das Fischerdorf seinen ersten gigantischen Bauboom. In nur sechs Jahren wuchs der Ort mit Hilfe modernster, aus Deutschland eingeschiffter Technik zu einer Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern. Es entstanden Fachwerkhäuser mit roten Ziegeldächern, breite Straßen und Chinas erstes Abwasserkanalsystem. Kaiser Wilhelm jubelte: "Hunderttausende von deutschen Kaufleuten werden aufjauchzen in dem Bewußtsein, daß endlich das Deutsche Reich festen Fuß in Asien gefunden hat." 1910 lebten etwa 3.500 Deutsche in der Kolonie. Eine Zugverbindung führte vom Bahnhof Tsingtaus, der einer Ritterburg gleicht, via Nordchina, Mongolei und Rußland geradewegs nach Berlin. Die Fahrtzeit betrug 14 Tage - mithin zwei Tage weniger als die Dauer der Sommerspiele.

In der Dokumentation von Dietmar Schulz (Erstausstrahlung) wird das heutige Qingdao als eine der Boom-Städte an Chinas Ostküste vorgestellt, deren Innenstadt allein schon rund 2,6 Millionen Einwohner zählt. Auch deutsche Firmen sind wieder vor Ort. Bereichert wird die Reportage durch die Aufnahmen eines deutschen Hobby-Fotografen, der um 1904 in der Stadt lebte. Die jahrzehntelang verschollenen Bilder sind jüngst in Berlin wieder aufgetaucht.

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