© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Starkstrom statt Schießpulver
Die fortschreitende Entwicklung der "Railgun"-Waffen wird mit dem Artilleriewesen auch die Taktik auf den Schlachtfeldern revolutionieren
Michael Manns

Experten schwärmen vom "Transrapid der Waffentechnik": Mit einer revolutionären Entwicklung wollen die USA die Feuerkraft ihrer Waffensysteme verzehnfachen. Es geht um die "Railgun", eine elektromagnetische Schienenkanone, die spektakuläre Eigenschaften haben soll.

Unsere Feuerwaffen funktionieren seit dem Mittelalter im Prinzip nach derselben Weise: Eine Menge Schießpulver explodiert und jagt durch die schnelle Ausdehnung der Gase die Kugel aus dem Lauf. Im Zeitalter der Raketentechnik kamen dann Flüssigkeits- und Festtreibstoffe dazu. Die Nachteile dieser betagten Technologie sind ebenfalls seit langem bekannt: Handhabung, Lagerung und Transport sind empfindlich, die Explosivgeschosse können unerwünscht losgehen, und die Treibsätze machen die Geschosse groß und teuer. Der Verschleiß vieler beweglicher Teile ist hoch.

Der Wunsch der Militärs: Am besten man bräuchte überhaupt keine Treibsätze mehr. Das könnten Elektromagneten leisten. Das Konzept der Railgun sieht grob so aus: Im Geschoßlauf befinden sich zwei Strom leitende Metallplatten, zwischen denen das Projektil gleitet. Um es abzufeuern, wird an die Metallschienen ein kurzer Hochspannungsimpuls angelegt. Ein elektrisch leitender Treiber hinter dem Projektil schließt den Stromkreis. Der Starkstrompuls erzeugt ein enormes Magnetfeld, das den Treiber den Lauf entlang rasen läßt und das Projektil in Sekundenbruchteilen aus der Mündung schleudert. Dabei werden Austrittsgeschwindigkeiten von mehreren Kilometern pro Sekunde erreicht - deutlich schneller als alles, was sich mit Schießpulver und expandierendem Gas erzielen läßt.

Die US-Marine hat jetzt einen Test erfolgreich abgeschlossen. Im Naval Surface Warfare Center im US-Staat Virgina wurde ein Aluminiumgeschoß (drei Kilo schwer) auf die immense Geschwindigkeit von 2.500 Metern pro Sekunde gebracht - auf einer Strecke von weniger als dreißig Metern. Das entspricht der siebenfachen Schallgeschwindigkeit.

Ein Geschoß, das mit diesem atemberaubenden Tempo das Rohr verläßt, würde vier Minuten lang die Erdatmosphäre verlassen und mit Mach 5 zur Erde zurückrasen - und jede Panzerung durchschlagen. Damit wäre es nicht nur viel schneller am Ziel als ein Marschflugkörper. Es soll auch ebenso präzise sein, denn anders als eine herkömmliche Artilleriegranate plant die U.S. Navy im Flug steuerbare Geschosse, die per Satellitennavigation ihr Ziel finden.

Abgesehen vom fehlenden Treibsatz wären auch die Railgun-Projektile für sich genommen leichter als herkömmliche Artilleriegranaten: Durch ihre enorme Geschwindigkeit besitzen sie eine ungeheure kinetische Energie. Ein schnelles, leichtes Geschoß kann so mehr Schaden anrichten als ein schweres und langsames. Außerdem wären kompakte Railgun-Projektile weit schwieriger per Radar ausfindig zu machen als Raketen. Und dann wären da noch die geringen Kosten: Eine Railgun verspreche "die Reichweite einer Rakete zum Preis einer Kugel", so die Manager des Railgun-Programms der Navy.

Weiterer Vorteil: Die Railgun-Geschosse fliegen so schnell, daß sie sogar als Abwehrmaßnahme gegen anfliegende Flugzeuge und Raketen im Gespräch sind. Experten glauben deshalb auch, daß funktionierende Railguns eines Tages die Überlegenheit der Flugzeugträger beenden und eine Renaissance der klassischen Schlachtschiffe einläuten könnten. Eine Wiedergeburt für "Tirpitz" und "Bismarck" im Seekrieg also. Mit einer Reichweite von über 350 Kilometern sollen die Elektro-Schiffskanonen aber um ein vielfaches weiter schießen können als die heutige Schiffsartillerie - ein strategischer Vorteil bei Gefecht auf See und bei der Unterstützung entfernter Bodentruppen.

Admiral Gary Roughead gab zu, daß die US-Marine noch weit davon entfernt sei, die Railgun auf Schiffen einsetzen zu können. Aber man dürfe "niemals die nächste große Sache aus den Augen verlieren". Railguns werden wohl frühestens auf der nächsten Kriegsschiff-Generation der USA, etwa für die 2020 bis 2025 geplanten Kreuzer und Zerstörer zum Einsatz kommen.

Bis dahin sind allerdings noch einige technische Hürden zu überwinden. Das größte Problem bei der Konstruktion liegt in dem notwendigen Energiespeicher. Verwendet werden hierfür starke Kondensatoren, die das Gewicht des Waffensystems enorm erhöhen und so den Transport erschweren. So ist es noch nicht gelungen, ein zuverlässiges und haltbares Exemplar für den militärischen Einsatz zu bauen. Zum Leidwesen der Ingenieure werden die Laborkanonen nach wenigen Schüssen unbrauchbar, weil Schienen und Projektiltreiber stark erhitzt werden. Schließlich sind Ströme von einigen Millionen Ampere nötig, um auf ein paar Metern Beschleunigungsstrecke relevante Geschoßgeschwindigkeiten zu erreichen. Das wurde auch auf einem Symposium in Potsdam beklagt, wo sich vor zwei Jahren 200 Fachleute trafen, um den aktuellen Stand der Railgun-Technologie zu diskutieren.

Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Versuche unternommen, leistungsfähige Railguns zu entwerfen. Auch Versuche deutscher Wissenschaftler im Zweiten Weltkrieg verliefen erfolglos. (Das überdimensionale Schienengeschütz "Dora" darf nicht mit diesem System verwechselt werden.)

Außerordentlich erfolgreich funktionieren die Railguns in Computerspielen und Filmen ("Eraser" mit Arnold Schwarzenegger, 1996). Deren Darstellung (mit Röntgenzielgeräten und großen Detonationen) entspricht allerdings nicht den realen Gegebenheiten.

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