© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Ein hungriger Mitbewerber trumpft auf
Die aufstrebende Wirtschafts-Supermacht China im Kampf um die weltweit knapper werdenden Energieressourcen
Albrecht Rothacher

Das faktengespickte Buch von Xuewu Gu und Maximilian Mayer "Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität?" nimmt sich vor, meist negativ geprägte Stereotype über Chinas rücksichtslose Energiepolitik aufzuklären. Daß dies in Teilbereichen gelingt, ist der eigentliche Erkenntniswert des Bandes. Warum der Verlag jenes Plädoyer für Chinas welt- und energiepolitische Unschuld ausgerechnet mit dem Prädikat "ausgewogene Sichtweise" auf dem Einband bewirbt, wird sein Geheimnis bleiben.

Das Buch, geschrieben von dem Bochumer Ordinarius Gu und seinem Mitarbeiter Mayer, ist alles mögliche: engagiert, informativ, interessant, parteiisch und gelegentlich ärgerlich - aber eines sicher nicht: ausgewogen. So wird Chinas Nachfrage auf den Weltölmärkten dank seiner hohen Kohle- und Wasserkraftgewinnung als relativ geringfügig dargestellt, sein energiepolitisches Engagement mit dem Iran, dem Sudan und anderen afrikanischen Despotien als weise Risikostreuung, seine Flottenrüstung und der Tausch Öl gegen Waffen als inexistent und seine Entwicklungshilfe in Afrika - im Gegensatz zu den bösen westlichen Post-Kolonialisten - als (fast) rein altruistisch bejubelt.

Die Energiepolitik innerhalb Chinas selbst wird wesentlich differenzierter analysiert. So zwingt der miserable Zustand des öffentlichen Verkehrs die Mittelschichten faktisch zum Automobilbesitz. Die lange zu niedrig verordneten Kohle- und Strompreise behinderten den Einsatz sparsamerer Industrietechnologien und von Sicherheitsinvestitionen in den wenig profitablen Kohlegruben. Die verbilligten Energiepreise verführten zum Verschwenden und zur Ansiedlung energieintensiver Weltfertigungen und sind so ein ständig wachsender Antrieb des chinesischen Energiehungers, der - im Buch nicht beschrieben - unstreitig weiter mithilft, den Rohölpreis in schwindelnde Höhen zu treiben.

Mit einem Jahresverbrauch von 1,7 Milliarden Tonnen Öleinheiten ist China nach den USA und vor Rußland der zweitgrößte Energieverbraucher der Welt. Sein Verbrauch stieg im letzten Jahrzehnt um 70 Prozent und ist damit deutlich geringer als das Wirtschaftswachstum. Doch steigt die Energieintensität der chinesischen Produktion wegen der stark wachsenden Stahl-, Metall- und Schwerindustrie wieder stark an. Im Jahr 2000 leistete China 15 Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes. In diesem Jahr dürfte es den Ausstoß der USA (21 Prozent) ein- und überholen. So lösen sich die Ziele des Kyotoer Protokolls buchstäblich in Rauch auf.

Mit 1,2 Milliarden Tonnen Kohle ist China der größte Produzent der Welt. Die Förderung entspricht dem Eigenbedarf. Da zwei Drittel des Energiebedarfs von Kohle befriedigt werden, bleibt sie absolut unverzichtbar. Wiewohl China dank seiner massiven Staudammprogramme auch vor Kanada zum größten Nutzer von Wasserkraft aufgestiegen ist, leistet diese nur 7 Prozent der Energieversorgung. 24 Prozent wird durch Öl erzeugt. Davon müssen zwei Drittel eingeführt werden. Der aktuelle tägliche Importbedarf beträgt 7,4 Millionen Faß. Das sind 9 Prozent des Weltölverbrauches. Da die chinesische Eigenförderung leicht rückläufig ist und der Bedarf weiter steigen wird, wird die Importnachfrage im Jahr 2025 auf tägliche 12,8 Millionen Faß geschätzt. Das entspricht in etwa den aktuellen US-Importen.

Das Rückgrat der chinesischen Energieversorgung ist die Kohle. Die größten der offiziell betriebenen 24.000 Zechen sind weiter im Staatsbesitz. Doch die weitaus meisten - einschließlich tausender illegaler - Gruben werden privat betrieben. Allen sind schlechtes Management, eklatante Sicherheitsmängel und ineffiziente Fördermethoden als Folge jahrzehntelang ausgebliebener Modernisierungsinvestitionen gemeinsam. Die Zahl der tödlich verunglückten Kumpel wird auf 10.000 geschätzt. Dabei ändert sich wenig, weil vielfach die örtlichen Behörden bestochen und die Entschädigungen an die Hinterbliebenen billiger sind als aufwendige Sicherheitsinvestitionen. Da Bergleute das sechs- bis zwölffache Monatseinkommen der Bauern verdienen, reißt der Nachschub unqualifizierter Landarbeiter nicht ab. Allerdings fehlen den Bergwerken qualifizierte Grubeningenieure, die lieber in die Städte abwandern.

Beim Öl ist die Staatskontrolle strenger. Drei Staatskonzerne haben gewisse Schwerpunkte: CNPC und seine Tochter Petrochina die Ölfelder und Pipelines Nord- und Westchinas, Sinopec die Raffinerien und die ertragsärmeren Ölfelder des Südens und Ostens und CNOOP schließlich das Offshore-Geschäft. Sie kontrollieren den Großhandel, die Tanklager, Terminals und Raffinerien und 55 Prozent der 88.000 Tankstellen. Innerhalb eines staatlich fixierten, niedrigen Preisbandes dürfen sie untereinander ein wenig Wettbewerb treiben. Eine ausländische Konkurrenz ist aber nicht vorgesehen, obwohl sich China beim WTO-Beitritt eigentlich zur Öffnung des Tankstellenmarktes verpflichtet hatte.

Wie alle Importländer hat China langfristige Lieferverträge mit den wichtigsten Förderländern unterzeichnet. Für Lieferungen zahlt es die jeweils üblichen Weltmarktpreise. Mit Anteilen von 20 bis 30 Prozent pro Weltregion - Mittlerer Osten/Afrika/Asien-Pazifik/Zentralasien-Rußland - sind die Quellen weiter gestreut als etwa im zu 34 Prozent von russischem Öl abhängigen Deutschland. Nur 13 Prozent der Lieferungen stammen aus Quellen, die die chinesischen Ölgesellschaften selbst erworben bzw. wie im Fall des Sudan selbst erschlossen haben. Es fällt auf, daß sich China bei seiner Versorgung sehr um Förderländer in seiner Nachbarschaft bemüht (Vietnam, Burma, Papua Neuguinea, Kasachstan, sowie mit weniger Erfolg um Rußland), um seine 60prozentige Abhängigkeit von Tankertransporten durch die von der US-Marine leicht kontrollierbare Malakka-Straße zu reduzieren.

Die Autoren bestreiten jedoch, daß die chinesische Flottenrüstungspolitik von der Sicherung der Ölversorgungslinien motiviert sei. Es handle sich vielmehr um eine überfällige Modernisierung, die dem Küstenschutz vor "Invasionen" und dem Taiwanproblem gewidmet sei. Mit der US-Marine zu rivalisieren und dafür mehrere Flugzeugträgergruppen zu bauen, wäre schlicht zu teuer. Auch diene der chinesische Ausbau der Häfen Gwadar (Pakistan) und Sittwe (Myanmar) nur zivilen Zwecken. Kriegshäfen seien nicht geplant. Allerdings habe sich der Bau der Pipeline von Sittwe nach Kunming in Südchina verzögert, während jene 1.000 Kilometer Leitung von Kasachstan nach Xinjiang im Jahr 2005 fertiggestellt wurde.

Auch verwahren sich die Autoren gegen den Vorwurf, China tausche Öl gegen Waffen. Dabei wird ihre Argumentation durch die Geheimniskrämerei um chinesische Waffenexporte erschwert. Immerhin scheint festzustehen, daß den petrodollarreichen Hauptlieferländern im Mittleren Osten die Qualität chinesischer Billigwaffensysteme zu schlecht ist, und sie sich lieber im Westen oder in Rußland eindecken. Das gilt im zweiten Fall auch für den Iran und selbst für den Sudan. Statt dessen liefert China Waffen an Ägypten, Algerien und Bolivien, bezieht von dort jedoch kaum Öl. Wenn wie im Fall Nigerias der Erwerb von Ölkonzessionen und die Bestellung chinesischer Kampfflugzeuge rein zufällig zusammenfallen, dann sei dies ein Indiz "bestenfalls sporadischer Verbindungen".

Praktiziert nun China auf der Suche nach Rohstoffen und Märkten eine "neokolonialistische" Afrika-Politik? Auch hier wird dem Reich der Mitte Absolution erteilt. Fünfzig Jahre westlicher "postkolonialer" Entwicklungspolitik seien gescheitert. Sie hätten die örtlichen Eliten korrumpiert und den Innovationsgeist und das Unternehmertum der Einheimischen unterminiert. Das kann ehrlicherweise kaum bestritten werden. Allerdings machen es sich die Autoren etwas zu leicht, nur die aktuellen Privatisierungs- und Liberalisierungsprogramme und das Bestehen auf guter Regierungsführung dafür verantwortlich zu machen. Tatsächlich machte die westliche Entwicklungspolitik seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts sämtliche Zyklen und Moden der Branche getreulich mit: von staatlichen Industrialisierungsprogrammen zu Rohstoffonds, ungebundenen Budgetzuschüssen und ländlicher Entwicklung bis hin zu gutmenschelnden Nahrungs- Textil-, Fahrrad-, Brillen- und Arzneispenden. Sie scheint nunmehr mit ihrem Latein am Ende.

Chinas Afrika-Politik kümmert sich erklärterweise nach dem Nichteinmischungsprinzip weder um Menschenrechte noch um gutes Regieren. Sie gibt gebundene Kredite gegen Öl- und Mineralkonzessionen für den Bezug chinesischer Fertigwaren oder die Rehabilitierung öffentlicher Infrastrukturen durch chinesische Techniker, etwa der nigerianischen Eisenbahnen oder der sambischen Kupferindustrien. Weil die chinesische Hilfe zügig, effizient und ohne politische Bedingungen und moralische Lektionen erfolgt, sind die Empfänger zufrieden. Die Autoren sind es auch, gilt doch China als KP-Diktatur vielen afrikanischen Despoten mittlerweile als Vorbild für eine Entwicklung ohne Mitbestimmungsrechte der Bevölkerung und für eine Korruption, die soweit "kanalisiert" sei, um das Wachstum nicht zu hemmen. Daß chinesische Erfolgsrezepte wie Sonderwirtschaftszonen und exportorientiertes Wachstum in Afrika bislang gescheitert sind, stört dann kaum noch.

Schließlich untersuchen die Autoren noch die Möglichkeiten erneuerbarer Energien und einer nachhaltigeren Energieverwendung in China. So stehen in China bereits sechzig Prozent der Sonnenkollektoren der Welt auf den Dächern. Interessant sind sie vor allem für Hinterlandprovinzen ohne Stromnetzanschluß. In der Photovoltaik ist China einer der führenden Weltanbieter ("Suntech"), produziert aber bislang hauptsächlich für den Export. In der Kernenergie interessierte sich China mit der Zündung der ersten Atombombe 1964 zunächst nur für die militärische Nutzung. Der erste Reaktor ging erst 1994 ans Netz. Heute sind elf in Betrieb, die erst zwei Prozent des Stroms erzeugen. Mit bis 2020 geplanten dreißig neuen Atomkraftwerken wird sich ihr Anteil auf vier Prozent verdoppeln. Planungen und Genehmigungsverfahren sind oft widersprüchlich, zumal Kohle und Wasserkraft noch als billiger gelten. So werden Atomkraftwerke vornehmlich in den Sonderwirtschaftszonen und in den dicht besiedelten Küstenprovinzen gebaut, wo die Luftqualität am stärksten belastet ist und die Stromausfälle am häufigsten und schmerzlichsten sind.

Zwar würdigen die Autoren einige löbliche Ökostadtprojekte, etwa in Ningbo, in Dalian und in Dongtan bei Schanghai, und die Förderung des öffentlichen Verkehrs im vorolympischen Peking. Doch bleibt als Resümee, daß angesichts weiterhin niedriger Kohlepreise, fehlender Filter, ignorierter Umweltnormen und eines fortgesetzten Baubooms von Kohlekraftwerken und Staudämmen die Umweltbelastungen eher noch zunehmen werden. Und solange die Weltnachfrage nach chinesischen Exportprodukten weiter zunimmt, wird auch der chinesische Energiehunger und mit ihm der Weltrohölpreis weiter steigen.

Xuewu Gu, Maximilian Mayer: Chinas Energiehunger: Mythos oder Realität? Oldenbourg Verlag, München 2007, gebunden, 204 Seiten, 24,80 Euro

 

Dr. Albrecht Rothacher war bis 2006 Direktor an der Asien-Europa-Stiftung (Asef) in Singapur. 2007 erschien sein letztes Buch "Mythos Asien? Licht- und Schattenseiten einer Region im Aufbruch" (Olzog Verlag, München)

Foto: Verkehrsstoßzeit in smoggetrübten Peking: Der Weltrohölpreis wird weiter wachsen

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