© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Auch ohne Atom geht das Licht nicht aus
Energiepolitik I: Eine Studie des Umweltbundesamts sieht keine "Stromlücke" nach dem Kernkraftausstieg
Michael Weis

Der Atomausstieg ist seit dem siebenjährigen Intermezzo einer rot-grünen Bundesregierung beschlossene Sache: Bis 2020 soll das letzte AKW vom Netz gehen. Die Große Koalition unter der Ex-Umweltministerin Angela Merkel hat daran nicht gerüttelt. Doch die Ausstiegsgegner wollen angesichts der Kernkraft-Renaissance in Großbritannien, Finnland oder jetzt Italien nicht verstummen.

Die deutschen Stromkonzerne RWE und Eon prophezeien eine unüberwindbare "Stromlücke" und rapide steigende Energiekosten. Schließlich müsse künftig Strom - oft aus weniger sicheren AKWs - risikoreich und zu hohen Kosten importiert werden. Hinzu käme die Unsicherheit der erneuerbaren Energien wie etwa der Windkraft und die weltweit steigende Öl- und Gasnachfrage. Die Deutsche Energie-Agentur errechnete zur Deckung der "Stromlücke" durch den Atomausstieg einen Bedarf von 15 zusätzlichen Großkraftwerken.

Mit einer aktuellen Studie zum Thema "Atomausstieg und Energiesicherheit" will das Umweltbundesamt (UBA) nun erneut belegen, daß derartige Befürchtungen reine Übertreibung sind. Sowohl der Atomausstieg als auch die deutschen Klimaschutzziele könnten demnach durch gezielte Maßnahmen erreicht werden - die erwähnten Ängste seien unbegründet. "Die Versorgungssicherheit mit Strom ist in Deutschland nicht gefährdet - eine 'Stromlücke' ist nicht zu erwarten", erklärte UBA-Präsident Andreas Troge.

Die Verfasser der UBA-Studie gehen davon aus, daß sich die Stromproduktion durch die aktuell bestehenden konventionellen Kraftwerke bis 2020 deutlich verringern wird. Durch Atomausstieg, Abschaltung, Überalterung würden demnach von der heute konventionell produzierten Strommenge (etwa 100 Gigawatt) nur rund die Hälfte (59 Gigawatt) übrig bleiben. Bereits begonnene und geplante Neubauten würden zukünftig jedoch nochmals 7 Gigawatt Strom liefern, so daß 2020 nach heutigem Stand mindestens 66 Gigawatt aus konventioneller Stromerzeugung zur Verfügung stünden. Diese Strommenge reiche zwar nicht, ein Engpaß sei jedoch trotzdem ausgeschlossen, denn der heute bestehende, klassische deutsche Kraftwerkspark erhalte bis 2020 weitere Unterstützung bei der Stromproduktion.

Zu den 66 Gigawatt aus den bereits gebauten oder geplanten Kraftwerken kämen demnach nochmals 58,9 Gigawatt aus erneuerbaren Energien - alleine 37 Gigawatt von Windrädern zu Lande und zu Wasser. Diese - auf den ersten Blick utopisch wirkende Energiemenge - ergebe sich aus einem vom Bundesumweltministerium errechneten Leitszenario zum Ausbau alternativer Energiequellen bis 2020. Überdies habe die Bundesregierung sich das Ziel gesetzt, den Anteil der durch Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) erzeugten Energie an der Gesamterzeugung bis 2020 auf 25 Prozent zu steigern. Um diesen Wunsch in die Tat umzusetzen, seien aber große Anstrengungen und der Neubau von KWK-Anlagen nötig. Nichtsdestotrotz sei es in 12 Jahren möglich, etwa 24 Gigawatt Strom durch Kraft-Wärme-Kopplung zu produzieren.

Auf Basis dieser Überlegungen gelangt das UBA zu der Erkenntnis, daß 2020 nicht weniger, sondern sogar mehr Strom als derzeit in Deutschland erzeugt werde. Statt derzeit 128 Gigawatt aus konventionellen und alternativen Energiequellen würden dann schätzungsweise 150 Gigawatt produziert. Dies alleine sagt allerdings nicht viel aus. Entscheidend ist schließlich nicht nur die Produktionsmenge, sondern das Verhältnis von Produktionsmenge zum Verbrauch.

Hier ist eine genaue Ermittlung kompliziert, da die Stromerzeugung vieler erneuerbarer Energien stark schwankend ist und eine zunehmend dezentrale Versorgung stattfinden dürfte. Für einen Vergleich von Produktion und Abnahme reicht somit nicht nur die reine Nennleistung der Kraftwerke, sondern es muß eine unübersichtliche Reihe von Faktoren mitberücksichtigt werden, wozu auch die Entwicklung von Energiespartechnik zählt.

Das UBA geht davon aus, daß das von der Bundesregierung angestrebte Ziel einer Senkung des Stromverbrauchs um 11 Prozent realistisch ist. Daraus ergibt sich dann eine Abnahme des Bruttostromverbrauchs von 620,6 Terrawattstunden (2005) auf etwa 540 Terrawattstunden im Jahr 2020. Bei gesteigerter maximaler Kraftwerksleistung wäre folglich eine geringere Produktionsmenge für Deutschland erforderlich, und Deutschland könnte 2020 (mit etwa 20 Terrawattstunden) weiter Strom­exporteur sein - und das bei gleichzeitiger Senkung der CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990.

Dazu bedarf es laut UBA aber - neben den erwähnten Annahmen - eines totalen Baustopps für noch nicht in Planung befindliche Kohlekraftwerke, eines rasanten Ausbaus der erneuerbaren Energien und der KWK sowie einer Effizienzverbesserung bei den Kraftwerken durch das Abschalten alter Anlagen und - in der Studie implizit vorausgesetzt - einer rasanten Entwicklung von neuen Techniken zur Energieerzeugung, -speicherung und -einsparung, die es heute noch gar nicht gibt.

Alles in allem bleibt die UBA-Studie weit hinter dem gesetzten Ziel zurück, die Energiesicherheit nachzuweisen. Speziell zur Frage, wie Stromnetzschwankungen - verursacht durch die unstete Wind- und Sonnenenergie - durch konventionelle Kraftwerke ausgeglichen werden sollen, sagt sie nichts. Allerdings zeigt sie, wie es prinzipiell möglich sein könnte, Deutschland auch zukünftig mit genug heimischem Strom zu versorgen.

Die UBA-Studie "Atomausstieg und Versorgungssicherheit" findet sich im Internet unter: www.uba.de/uba-info-presse/hintergrund/atomausstieg.pdf

Foto: Kernkraftwerk Grafenrheinfeld: Stromnetzschwankungen durch die unstete Wind- und Sonnenenergie

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