© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  18/08 25. April 2008

Runder statt reiner Tisch
Vergangenheitsbewältigung: Ex-Bürgerrechtler diskutieren mit ehemaligen SED-Funktionäre
Christian Dorn

Während der einstige Bundesvorsitzende der SPD und heutige Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine fordert, Passagen des Kommunistischen Manifests in das eigene Parteiprogramm aufzunehmen, erklärt Günter Schabowski, einst DDR-Politbüro-Mitglied, ohne viel Federlesens: "Die Entartung liegt bereits bei Marx." Schließlich hatte  dieser zusammen mit Friedrich Engels im Frühjahr 1848 jenes Pamphlet verfaßt, das - mit der Forderung nach einer klassenlosen Gesellschaft - als geistiges Fundament des Kommunismus gilt.

Schabowskis Äußerung entstammt derweil der jüngsten Diskussion der Veranstaltungsreihe "Schön war die Zeit ...? Aufklären statt verklären: Alltag und Unrecht in der DDR". Diese, ausgerichtet von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhauses und vom Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, widmete sich vergangene Woche einem Thema, das in der Formulierung bereits einem Trugschluß erlag: "Wir waren die stärkste der Parteien: Von der SED zur Linkspartei".

Denn laut einer Allensbach-Umfrage ist die einstige Einheitspartei mit knapp dreißig Prozent inzwischen wieder die stärkste politische Kraft in den östlichen Bundesländern.

Dies legt Fragen nahe, denen sich die vom ehemaligen SFB-Moderator Jürgen Engert moderierte Runde stellen sollte: Warum wird die Verantwortung der SED für das DDR-System so unkritisch gesehen? War die Revolution von 1989 zu friedlich? Welcher Machtinstrumente bediente sich die SED? Warum drängt niemand die PDS/Linkspartei zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit?

Vieles blieb unbeantwortet. Und doch förderte der Abend Erhellendes zutage - dank der couragierten Fragen Engerts sowie der deutlichen Diktion des einstigen Bürgerrechtlers Werner Schulz. Letzterer definierte die DDR als eine "totalitäre Parteidiktatur" mit bis zu 400.000 hauptamtlichen SED-Funktionären, "die allen Angst gemacht haben". Angesichts dessen benutzte er auch das Bild von "Blutsaugern" und "Insekten, die das Land beherrschten". In der DDR, die "nie ein '68 erlebt" hat, sei das braune HJ- gegen das blaue FDJ-Hemd eingetauscht worden. "Das ging gnadenlos weiter", so Schulz, "aus Fähnleinführern der Wehrmacht wurden Kombinatsdirektoren." Permanente Indoktrination, Überwachung nach innen und außen, Einsatz von Terror sowie Neutralisierung der Gegner: Dies seien die Methoden der SED und zugleich das Kennzeichen des DDR-Staats gewesen. Daß sich die Präsenz der SED durch alle Gesellschaftsschichten gezogen habe, sei dabei offenbarster Ausweis der totalitären Gesellschaftshierarchie gewesen. Zu oft werde indes übersehen, daß das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) dabei lediglich das Instrument in den Händen der SED gewesen ist. So habe es die Einheitspartei nach 1989 geschickt vermocht, die  von Gorbatschow gestellte Frage "Seid ihr in der Lage, die Partei zu retten?" erfolgreich zu beantworten.

Schuld daran tragen auch Bürgerrechtler wie Werner Schulz, der - seltsamerweise - bis heute die damalige Haltung verteidigt: "Wir wollten keine Jakobiner sein." Natürlich habe es damals die Forderung gegeben, die Verantwortlichen zu inhaftieren, "aber wir haben gesagt, wir machen einen runden Tisch".

Daß kein "reiner Tisch" gemacht worden ist, rächt sich nun: "Im Grunde genommen hat sich die SED aus dem Staub gemacht, und die Leute heute glauben, die Probleme seien die Folge der Vereinigung", sagte Schulz. Neben der sowohl charismatischen wie demagogischen Rolle Gregor Gysis, die Schabowski für das Überleben der einstigen SED mitverantwortlich macht, wird auf den Augenzeugenbericht des damaligen Dresdner Oberbürgermeisters Wolfgang Berghofer verwiesen, dem zufolge die PDS-Führung bewußt das MfS und die Person Alexander Schalck-Golodkowskis als Sündenböcke ausgewählt habe, um von der eigenen Verantwortung abzulenken. Die Frage der ausbleibenden Selbstbefragung vermutet Schulz derweil - frei nach Mitscherlich - in der "Unfähigkeit des Sich-in-Frage-Stellens".

Ein beredtes Beispiel hierfür liefert der am Podium beteiligte PDS-Politiker Klaus Höpcke. Als stellvertretender Kulturminister hatte er zugleich als Oberzensor der DDR-Literatur agiert und bis Ende der neunziger Jahre im sächsischen Landtag gesessen - im Unterschied zu Günter Schabowski, der von Dezember 1999 bis Oktober 2000 eine Haftstrafe für die Mauertoten abzusitzen hatte. 

Derweil resümiert der amerikanische Historiker Konrad Jarausch, daß "Die Linke" weniger eine Partei sei als ein "Ressentiment". Das ist zwar schön gesagt, ändert aber nichts an dem folglich um so fataleren Umstand, daß ebendieses in der Hauptstadt Berlin an der Regierung beteiligt ist. Die zweite Diktatur, so Schulz, warte demnach noch auf ihre Aufarbeitung. Vermutlich werde dies erst möglich, "wenn Guido Knopp den letzten Schäferhund von Adolf Hitler gezeigt hat".

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