© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

"Ein Amoklauf gegen die Wirklichkeit"
Agitprop im Wissenschaftsgewand: Zwei demokratiepädagogische Publikationen zur JUNGEN FREIHEIT
Jörn-Peter Lehmann

Manchmal führt der Blinde den Lahmen. Zum Beispiel dann, wenn der Politologe Stefan Kubon den SPD-Provinzpolitikern Stephan Braun und Ute Vogt bescheinigt, eine "wissenschaftliche Publikation" über die JUNGE FREIHEIT vorgelegt zu haben, die "feinsinnige Analysen" und "schlüssige kontextbezogene Interpretationen" biete.

Ob Kubons Kompetenz ihn zu solchem Lob autorisiert? Zumindest sein Doktorvater Theo Stammen, der Kubons hymnische Rezension des Braun/Vogt-Amalgams für die vom ihm mitherausgegebene Zeitschrift für Politik (4/07) akzeptierte, dürfte davon überzeugt gewesen sein. Denn an seinem Augsburger Lehrstuhl entstand Kubons "Untersuchung zur Erfassung der Kontinuität 'konservativ-revolutionärer' politischer Ideen" am Beispiel der "bundesdeutschen Zeitung JUNGE FREIHEIT", die den Autor in den Rang eines "Experten" beförderte.

Wie die Lektüre ergibt, ist das recht billig erworbener Ruhm für ein Opus, das der "Menschenrechtsorganisation amnesty international" gewidmet ist. Deren "Einsatz für eine bessere Welt" begeistert Kubon seit 1985. Darüber hinaus empfing er "positive Impulse" von "schwarzromantischen Rockkonzerten", dem Musikmagazin Amboß, einer Kompanie von Seelentrösterinnen und PC-Helfern, seiner Schwester Daniela, die mittels Weihnachtsfeiern den Familienzusammenhalt rettete, seinen Eltern sowie Oma und Opa, die Akzente setzten, leider aber schon verstorben sind. Derart gedopt, will er die Dissertation aber dann trotzdem selbstverantwortlich zu Papier gebracht haben.

Diesem Herkunftsmilieu entsprechend, stellt Kubons "Untersuchung zur Erfassung" keine unerfüllbaren intellektuellen Ansprüche. Ihr "Forschungsziel" ist der Nachweis, daß die JF in der Kontinuität der Konservativen Revolution (KR), genauer: deren Jungkonservativer Fraktion steht. Welche Zitate Kubon in dem Bestreben verrührt, die analoge "ideologische Struktur" in der Kritik an "Moderne, Liberalismus, Sozialismus, Medien und Parteien" zu konturieren, ist dabei recht unerheblich. Dafür muß sich niemand mit seinem hölzernen Seminar-Volapük ("Es ist nun an der Zeit, anzumerken" - dies allein schätzungsweise 100 Mal!) quälen. Entscheidend ist, um mit Helmut Kohl zu sprechen, "was hinten rauskommt": daß nämlich die hier "dokumentierte Kontinuität" eine "antidemokratische" zu sein hat.

Ungeachtet der selbst Kubon nicht verborgen gebliebenen "erstaunlichen ideologischen Komplexität" der KR, will er ihr "einhelliges" politisches Streben darauf gerichtet sehen, "nach der Zerschlagung der Weimarer Republik eine Diktatur zu etablieren". JF-Texte, deren Auswahl er willkürlich auf die Jahrgänge zwischen 1991 und 1999 beschränkt, somit rund 8.000 Zeitungsseiten als "Quellen" großzügig ignorierend, müssen dann nur nach "positiven" Referenzen selektiert werden. Flugs ist das Blatt als "antidemokratische Gefahr", "Bedrohung" für den "demokratischen Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland" und - damit offenbar identisch - "für die Wirkungsmacht der Menschenrechte" auszumachen.

Sieht man von diesem volkspädagogisch erwartbaren Resultat ab, ist allein die Methode beachtenswert, die auch für die von Braun und Vogt präsentierten, vorgeblich "Kritischen Analysen" der JF Maßstäbe setzt.

Wie Kubon wenden Braun, Vogt und deren gutes Dutzend Mitstreiter von Anton Maegerle bis Wolfgang Gessenharter einen simplen diskursiven Trick an, um der JF, die manchen von ihnen schon zum Lebenswerk geworden ist, in "Programmatik und Inhalten" die "Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz" zu attestieren.

Der Trick besteht darin, ein ideologisch aufgeladenes "Grundgesetz", wahlweise "die parlamentarische Demokratie", "die westlichen Werte" usw., dem "kritischen Diskurs" von vornherein zu entziehen. Wer, um nur das zentrale Ideologem herauszugreifen, wie Kubon, Braun & Co. in einem kurzen, aber entscheidenden Schritt den demokratischen Pluralismus mit ethnischer Inhomogenität ("kulturelle Vielfalt") identifiziert, darf den Einspruch, ethnische, soziale oder kulturelle Homogenität stabilisiere demokratische Systeme eher, apodiktisch als "demokratiefeindlich" denunzieren. Von diesem Standpunkt aus ist der Kritiker allein durch seine Kritik gerichtet.

Die Beiträger des Braun/Vogt-Bandes haben es in solcher Art diskursiver Immunisierung dogmatischer Positionen zu einiger Kunstfertigkeit gebracht. Helmut Lölhöffel schafft es gar, die Migrationsthematik als Herausforderung demokratischer Gesellschaften einfach für irrelevant zu erklären.

Migration bereite zwar "allerlei soziale Probleme", die aber andere als "multikulturelle Ursachen" habe, wie der SPD-Journalist mit Blick auf die "leichtfertig" von seinem Genossen Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky so bezeichnete türkisch-arabische "Parallelgesellschaft" in Berlin-Neukölln behauptet. Mit "Amoklauf gegen die Wirklichkeit", einer Sentenz des Zeithistorikers Martin Broszat, gemünzt auf "Auschwitz-Leugner", wäre Lölhöffels realitätsverweigernde Polemik treffend erfaßt.

Diesem Weltbild aus dem Bunker zollen auch die Elaborate seiner Mitstreiter Tribut, allesamt Politologen, Soziologen oder Journalisten. Aber kein Historiker, der sich etwa - anders als der sonst mit der "Gestaltung von Online-Portalen zur Politischen Bildung" und KZ-Führungen seine Zeit füllende Michael Pechel - wirklich fachkundig mit dem "Geschichtsverständnis" der JF auseinandersetzen könnte. Kein Jurist, nur der ewige "Rechtsextremismusexperte" Gessenharter, steht für den angeblichen "Schmittismus" des Blattes zur Verfügung. Die Essener Politologin Regina Wamper fühlt sich theologie- und kirchenhistorisch hinreichend bewandert, um den sogenannten "christlichen Fundamentalismus" der JF samt "antisemitischer Einlassungen" aufzudecken - ein mitleiderregender Fall von Selbstüberschätzung.

Sie alle arbeiten sich an einem Phantom ab. Hilfreich ist dabei, wie von Kubon vorgemacht, die Quellenselek­tion. Die Ausgaben zwischen 1991 und 1996 liefern die Lieblingszitate. Viele stammen aus der Feder von Hans-Ulrich Kopp, Andreas Molau, Thor von Waldstein, Markus Klein, Josef Schüßlburner und Germar Rudolf, Autoren, die zum größten Teil seit fast fünfzehn Jahren nicht mehr zu Worte kommen, oder die - wie Rudolf - überhaupt nie zum festen Mitarbeiterstamm gehörten. Insoweit wie man dann aktueller wird, fällt die zweite Hälfte des Blattes, der Kulturteil, fast rückstandslos unter den Tisch, um den Zitatenteich bequemer abfischen zu können.

Einige der Schattenboxer räumen immerhin ein, es gebe "politische Problemlagen" wie Jugendkriminalität, soziale Ungleichheit oder allgemein "Defizite des politischen Systems". JF-Einlassungen dazu seien aber "als demokratiefeindlich zu entlarven". Indes bestätigten alle wesentlichen Veränderungen der "politischen Problemlagen" in den letzten zwanzig Jahren - vom Fall der Mauer, dem Untergang der kommunistischen Regime über die "demographische Frage", das Desaster der bundesdeutschen Familien- und Bildungspolitik, die europaweit zunehmenden Spannungen in den "Migrationsbiotopen", die neue "Weltunordnung" bis hin zum "Kampf der Kulturen" - journalistische Lageanalysen, die auf der "Idee der ethnisch homogenen deutschen Nation" (Kubon) basieren.

Demnach scheint weniger die JF als die politische Wirklichkeit "demokratiefeindlich" zu sein: feindlich jenem migrationistischen Illusionismus, den das Schwabenduo Braun/Vogt und sein politologischer Anhang mitten im Wirbel seines Zusammenbruchs eiligst abstützen wollen. Darum soll der Multikulturalismus noch rasch eingeschmuggelt werden in den nach Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz "ewigen" Kernbestand der "freiheitlich demokratischen Grundordnung". Man gebärdet sich im Kampf gegen ein "raffiniert-suggestives Medium wie die JF", als sei das schon geschehen.

Stefan Kubon: Die bundesdeutsche Zeitung "JUNGE FREIHEIT" und das Erbe der "Konservativen Revolution" der Weimarer Republik. Eine Untersuchung zur Erfassung der Kontinuität "konservativ-revolutionärer" politischer Ideen, Ergon Verlag, Würzburg 2006, kartoniert, 260 Seiten, 35 Euro

Stephan Braun/Ute Vogt (Hg.): Die Wochenzeitung "JUNGE FREIHEIT". Kritische Analysen zu Programmatik, Inhalten, Autoren und Kunden, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, kartoniert, 362 Seiten, 39,90 Euro

Foto: JF-Internetauftritt und Printausgabe: Manchem ihrer Kritiker ist die JF schon zum Lebenswerk geworden

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