© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Eine weitere albanische Frage
Mazedonien: Der Namensstreit um den Balkanstaat geht nach griechischem Veto auf Nato-Gipfel in eine neue Runde / Neuwahlen nach Eklat mit Albaner-Partei
Martin Schmidt

Der Nato-Gipfel Anfang April war vom Streit um die Aufnahme der Ukraine und Georgiens dominiert - schließlich standen aus EU-Sicht die Beziehungen zu Rußland auf dem Spiel. Weniger Aufmerksamkeit wurde Mazedonien zuteil, das - anders als die 2009 zur Nato stoßenden Länder Kroatien und Albanien - wegen des Einspruchs von Griechenland vorerst abgelehnt wurde. Athen beharrt im Namensstreit mit Skopje weiter auf seiner Position: Die benachbarte Republik Mazedonien darf nicht so heißen, der Begriff bezeichne seit dem Altertum die griechischen Makedonier und ihr Land. Doch gegen einen Nato-Beitritt sprechen noch weit gewichtigere Gründe.

Im 18. und 19. Jahrhundert war es durchaus üblich, Preußen mit dem antiken Makedonien zu vergleichen. Ähnlich wie das in viele Teile zergliederte Griechentum von Philipp II. und Alexander dem Großen sahen manche Historiker die Rolle Preußens innerhalb Deutschlands. Und noch heute sind die beiden Makedonenkönige aus dem dritten Jahrhundert vor Christi Geburt als Identifikationsfiguren von außerordentlicher Bedeutung. Denn die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (FYROM/so die völkerrechtliche Bezeichnung seit der Uno-Aufnahme 1993) ist ein fragiles Gebilde, in dem es seit langem ethnische Spannungen gibt. In dem gebirgigen Kleinstaat (nur wenig größer als Mecklenburg-Vorpommern) leben etwa 2,1 Millionen Menschen. Nur 64 Prozent sind südslawische Mazedonier. Über ein Viertel - etwa eine halbe Million - sind Albaner, der Rest Türken, Zigeuner, Serben und andere Minderheiten.

Die zahlenmäßig immer größer werdende albanische Volksgruppe brachte zuletzt sogar die Regierung des 37jährigen national-konservativen Premiers Nikola Gruevski zu Fall. Gruevskis VMRO-DPMNE und die mitregierende Demokratische Partei der Albaner (DPA) einigten sich am Wochenende auf Neuwahlen für den 1. Juni. Nach der Unabhängigkeitserklärung der mehrheitlich albanischen serbischen Provinz Kosovo (JF 9/08) stellte die DPA im März ultimative Forderungen: Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo, die landesweite Erhebung des Albanischen zur zweiten Amtssprache (was bislang nur in mehrheitlich albanischen Gebieten der Fall ist), Einstellung von Gerichtsverfahren und Pensionszahlungen für Kämpfer der albanischen Untergrundarmee AKSh. So wollte die DPA vor dem Nato-Gipfel innenpolitische Unruhe schüren, um eine baldige Aufnahme in den Nordatlantikpakt zu erschweren. Denn diese würde die geltenden Staatsgrenzen de facto zementieren und eine von radikaleren Albanern gewünschte Angliederung der eigenen Siedlungszentren an das unabhängige Kosovo - oder gar ein "Großalbanien" - faktisch unmöglich machen.

Andererseits gibt es auch unter den slawischen Mazedoniern (die mit den Bulgaren eng verwandt sind) expansive Zielsetzungen. Manche sehen ihren Staat als Kern eines von feindlich gesinnten Nachbarn bisher verhinderten "Großmazedonien". Dabei stützen sie sich auf Vorstellungen, die im 19. Jahrhundert entstanden sind und die wegen der kulturellen Vielschichtigkeit der Region sowie der langen türkischen Fremdherrschaft die ideelle Grundlage für einen neuzeitlichen makedonischen Staat überhaupt erst begründeten. Gruevskis Partei steht in dieser Tradition, denn VMRO-DPMNE heißt Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation - Demokratische Partei Mazedoniens für die Nationale Einheit". Ihr Vorläufer unterstand seit 1912 Todor Aleksandrow, der von einem Großbulgarien träumte, das zwischen 1941 und 1944 mit deutscher Hilfe teilweise Realität wurde. Unter Iwan Michajlow sorgte die VMRO in den zwanziger und dreißiger Jahren mit Terroranschlägen europaweit für Aufsehen.

Seit damals besteht aufbauend auf der Theorie, die antiken Makedonier hätten eine eigene, nicht-griechische Nation gebildet, die Vision eines "Großmazedonien" unter Einbeziehung des bulgarischen Pirin-Gebietes, einiger unter Tito an Serbien übereigneter Landstriche wie das Kloster Prochor Pčinjski, wo 1944 die Volksrepublik Mazedonien ausgerufen wurde, sowie vor allem der erst 1912 Griechenland zugeschlagenen Region Makedonien mit der Hauptstadt Saloniki (mazedonisch: Solun). Die Verwendung der sechzehnstrahligen Sonne von Vergina (sie war auf dem Grab Philipps II. entdeckt worden) als Nationalsymbol auf der mazedonischen Flagge war einer der Gründe, warum Athen 1994 ein Wirtschaftsembargo gegen Skopje verhängte, das erst 1996 nach der Veränderung der Flagge aufgehoben wurde. Das Verhältnis zu Griechenland ist dennoch weiter belastet. Wegen des Widerstands aus Athen heißt das Land im EU-Sprachgebrauch weiter FYROM, die UNO-Sicherheitsrats-Mitglieder USA, China und Rußland haben es hingegen als Republik Mazedonien anerkannt. Im griechischen Staatsgebiet leben zudem etwa 150.000 bis 250.000 von der Assimilierung bedrohte Mazedonier, offiziell "slawisch sprechende Griechen" genannt, die keinerlei Minderheitenrechte haben.

Kurz vor dem Nato-Gipfel hatte der Uno-Sonderbeauftragte Matthew Nimetz fünf Namen vorgeschlagen, doch nur "Demokratische Republik Mazedonien" oder "Unabhängige Republik Mazedonien" wollte Gruevski akzeptieren. Wenig später protestierte Griechenland gegen den Uno-Kompromiß "Republik Mazedonien - Skopje". Man wünsche sich eine Bezeichnung mit einer klaren geographischen Definition wie "Nordmazedonien" oder "Obermazedonien".

Beim Nato-Gipfel in Bukarest stand schließlich die Variante "Neue Republik Mazedonien" zur Debatte, die Skopje jedoch ablehnte. Selbst wenn der Namensstreit bis Herbst wider Erwarten beigelegt würde, sollte allein schon die ungelöste "albanische Frage" Grund genug sein, Mazedonien (zumindest noch) nicht in die Nato aufzunehmen.

Foto: Flaggen von Mazedonien (neu und alt) und griechisch Makedonien (v. o. n . u.)

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