© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Auf schiefen Absätzen in den Abgrund
Sachsen: Das Scheitern von Georg Milbradt als Ministerpräsident macht den Weg frei für einen Neuanfang der CDU im Freistaat
Paul Leonhard

Die Ära Georg Milbradt geht nach sechs Jahren zu Ende. Der 63jährige wird Ende Mai seine Ämter als Ministerpräsident und Vorsitzender der Sachsen-Union niederlegen. Gleichzeitig kann in Sachsen die schwarz-rote Koalitionsregierung weiterregieren. Mit dem Rückzug Milbradts haben die Christdemokraten die wichtigste Forderung ihres kleinen Partners erfüllt. Die SPD hatte ihre Bereitschaft zur Fortführung der Koalition Ende vergangener Woche an der Person Milbradts festgemacht. Jetzt sei "der Weg frei, um zur Sacharbeit zurückzukehren", freute sich am Montag SPD-Fraktionschef Martin Dulig.

Aber auch für die CDU ist das Handtuchwerfen Milbradts ein Befreiungsschlag. Die Regierungszeit des einstigen Finanzministers im Kabinett Biedenkopf stand unter keinem guten Stern. Unter Milbradt verlor die sächsische Union ihre absolute Mehrheit, erstarkte die inzwischen zur Linkspartei mutierte SED-Nachfolgepartei PDS. Als Koalitionspartner blieb den Christdemokraten rechnerisch nur eine SPD übrig, die vom Wähler mit ihrem bisher schlechtesten Wahlergebnis abgestraft worden war. Die folgenden Jahre waren immer wieder von innerparteilichen Querelen, Pleiten und Pannen überschattet.

Überdies stellte sich anläßlich des Zusammenbruchs der Sachsen-Landesbank heraus, daß Kurt Biedenkopf falsch lag, als er Milbradt als "hervorragenden Fachmann, aber miserablen Politiker" bezeichnete. Offenbar hat der Finanzspezialist Milbradt nur funktioniert, wenn es um das eigene Geld ging. Während die inzwischen notverkaufte Landesbank mit riskanten Geschäften am amerikanischen Hypothekenmarkt einen Verlust von mehr als 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftete, fuhr das Ehepaar Milbradt mit einer bis 2016 laufenden sicheren Anlage eine Rendite von 9,3 Prozent ein.

Sie hatten 50.000 Euro in einen Fonds investiert, mit dem der Bau des Sachsen-LB-Hochhauses in Leipzig finanziert wurde. Einen Teil des Geldes hatten sie sich zuvor bei der Sachsen-LB geliehen, in deren Verwaltungsrat Milbradt seinerzeit als Finanzminister saß. "Der Fonds war eine Lizenz zum Gelddrucken", sagt SPD-Landtagsabgeordneter Karl Nolle, der die Privatgeschäfte Milbradts aufgedeckt hatte.

Die Sachsen hatten auch Kurt Biedenkopf vieles nachgesehen, aber nicht seine "Geiz ist geil"-Mentalität. "König Kurt" verlor die Krone, als er an der Ikea-Kasse einen Ministerpräsidenten-Rabatt einforderte. Im Gegensatz zu Biedenkopf war der Münsteraner Georg Milbradt bei der Bevölkerung nie beliebt. Er verstand die Sachsen nicht, und die wußten wenig mit einem Ministerpräsidenten anfangen, dessen Markenzeichen lange Zeit schlecht sitzende, zerknitterte Anzüge und schiefe Absätze an den Schuhen waren. Übel wurde Milbradt auch sein Kuschen vor dem Koalitionspartner SPD genommen, der bei den Landtagswahlen mit 9,8 Prozent der Stimmen gerade einmal knapp vor der NPD lag.

So forderten denn auch bereits vergangene Woche bei einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Marktforschung Leipzig im Auftrag einer in Dresden erscheinenden Boulevardzeitung 51 Prozent der Sachsen den Rücktritt Milbradts. Lediglich 31 Prozent wollten, daß der Politiker im Amt bleibt. Die Skandale um die Landesbank haben auch das Vertrauen der Wähler in die CDU sinken lassen.

Erreichte sie bei der vergangenen Landtagswahl noch 41,1 Prozent, so würden zur Zeit lediglich 38 Prozent die Christdemokraten wählen. "Wir verfrühstücken gerade die Sympathien, die wir in 17 Jahren aufgebaut haben", kommentierte der CDU-Landtagsabgeordnete Thomas Hermsdorfer.

Daß sich die Spitze der Sachsen-Union in der Nachfolgediskussion nicht für Kanzleramtschef Thomas de Maiziere, sondern für den sächsischen Finanzminister Stanislaw Tillich entschieden hat, ist ein kluger Schachzug. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird froh sein, ihren Strippenzieher zu behalten, und der katholische Sorbe dürfte durchaus in der Lage sein, genausogut wie de Maiziere wieder Ordnung in den politischen Alltag des Freistaates zu bringen.

Tillich dürfte auch biographisch die bessere Lösung sein. Er könnte ein Ministerpräsident werden, wie ihn sich die Sachsen schon lange wünschen: kein
Westimport, sondern ein gebürtiger Sachse, ein freundlicher, zurückhaltender Mann aus der Block-CDU, der bis 1989 in der Kreisverwaltung Kamenz gearbeitet und von März bis Oktober 1990 der ersten frei gewählten DDR-Volkskammer angehört hat. Der 49jährige Ingenieur hat damit alle Voraussetzungen, daß sich die Sachsen mit ihm identifizieren können. Überdies verfügt er als ehemaliger Europaabgeordneter und Staatsminister seit 1999 über ausreichend politische Erfahrung und Kontakte.

Bis zur nächsten Landtagswahl bleiben Tillich 16 Monate. Bis dahin will er "der Ministerpräsident aller Sachsen sein, politische Gräben überwinden und alle einladen, an der Zukunft unseres Landes mitzugestalten". Wie groß der Rückhalt in der eigenen Partei ist, wird Tillich am 24. Mai erfahren. An diesem Tag will er sich auf dem Parteitag in Zwickau zum neuen Vorsitzenden der Sachsen-Union wählen lassen.

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