© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/08 18. April 2008

Den Spitzel beim Namen nennen
Vergangenheitsbewältigung: Das Landgericht Zwickau entscheidet am 22. April darüber, ob eine Ausstellung die Identität eines Stasi-Informanten offenlegen darf
Paul Leonhard

Was sich im Reichenbach abspielt, ist ein Lehrstück in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung. Es geht um junge Leute, die gemeinsam mit einem Pfarrer ein Stück DDR-Geschichte aufarbeiten wollten, um einen Stasi-Zuträger und seinen Anwalt, der für die Linkspartei im Stadtrat sitzt, und ein Gericht, das Spitzel davor schützt, öffentlich benannt zu werden.

Jahrelang war in der Stadt im sächsischen Vogtland das Thema Staatssicherheit verdrängt worden. Dabei waren insbesondere im Zusammenhang mit der Verfolgung und 1977 erfolgten Ausweisung des Schriftstellers Jürgen Fuchs zahlreiche Reichenbacher ins Visier des Mielke-Ministeriums geraten. Spätestens seit drei Jahren stellen aber immer mehr Reichenbacher Anträge auf Einsicht in Stasi-Akten. In Reichenbach gebe es eine große Nachfrage, konstatierte 2005 der 1980 aus der DDR ausgewiesene Schriftsteller Utz Rachowski, heute Mitarbeiter der Außenstelle Chemnitz der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Das Interesse der Erwachsenen mag auch eine Gruppe Jugendlicher bewogen haben, sich vor drei Jahren auf Initiative des früheren Zwickauer Dompfarrers Edmund Käbisch mit dem Thema Stasi zu beschäftigen. Ein Stück regionaler Geschichte sollte aufgearbeitet werden. Und zu dieser Geschichte gehört neben anderen Spitzeln auch IM "Schubert".

Premiere hatte die von Schülern des Clara-Wieck-Gymnasiums Zwickau erarbeitete Schau "Christliches Handeln in der DDR" im Januar 2005 im Foyer des Landgerichts Zwickau. Mehr als drei Jahre später kam es zum Eklat, als die Wanderausstellung - um sieben Tafeln ergänzt - am 27. Februar im Reichenbacher Rathaus eröffnet wurde. Käbisch sprach in seiner Rede explizit den ehemaligen Informellen Mitarbeiter "Schubert" als einen "besonders exemplarischen Fall" dafür an, wie die Stasi die Kirche zu unterwandern versuchte. Der heute 63jährige Ex-Pfarrer kannte sich aus, denn IM "Schubert" war einer von rund 60 Stasi-Zuträgern, die auf ihn angesetzt waren, und alles andere als harmlos. Vier Festnahmen erfolgten auf der Grundlage seiner Berichte.

Der einstige Spitzel war bei der Eröffnung anwesend und protestierte gegen die Nennung seines Namens. Zwei Tage später wurden zwei Tafeln aus der Schau entfernt, dann aber wieder aufgehängt. Denn inzwischen hat die Birthler-Behörde die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung des Klarnamens bestätigt. Daraufhin klagte "Schuberts" Anwalt, der für die Linkspartei im Stadtrat sitzt. Das Landgericht entschied im Eilverfahren, daß die Ausstellung geeignet sei, "Ansehen und Wertschätzung des Antragstellers in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen". Der Name des Spitzels sei zu schwärzen. Bei Zuwiderhandlungen wurde ein Zwangsgeld von bis zu 250.000 Euro angedroht. Ausstellungsinitiator Käbisch ließ die Schau abbauen: "Ohne die Namen zu nennen", mache die Aufarbeitung der DDR-Geschichte keinen Sinn. Die SED-Täter nutzten den Rechtsstaat, um ihr Unrecht zu verbergen.

Von "Einschüchterungsversuchen" der gut organisierten Ex-Stasi-Spitzel spricht Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen. Zunehmend werde versucht, die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit durch derartige Klagen zu verhindern.

Unter dem Motto "Die Stasi macht mobil - wehret den Anfängen" wirbt die Zwickauer CDU für Spenden für den weiteren Rechtsstreit. Inzwischen prüft das Landgericht erneut, wie groß die Beeinträchtigungen von IM "Schubert" durch die Nennung seines Klarnamens tatsächlich sind. Vergangene Woche deutete die Vorsitzende Richterin Gabriele Gerth an, daß hier wohl die Meinungsfreiheit höher anzusetzen sei als der Schutz der Persönlichkeitsrechte. Ein Urteil soll am 22. April ergehen. Aufmerksam wird der Prozeß nicht nur von den Medien verfolgt, sondern auch von den ehemaligen Schülern, die die Tafeln erarbeitet hatten: "Wir verbreiten doch keine Lügen, sondern Tatsachen."

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen