© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Die dunklen Anfänge des Islam
Textkritisch: Ein internationales Kolloquium von Koranforschern versuchte die Aufklärung nachzuholen
Bodo Bost

Koranforscher um die Arbeitsstelle für Religionswissenschaft der Universität des Saarlandes haben den Verein Inârah gegründet, was soviel bedeutet wie "Erleuchtung". Ziel dieser Forschergruppe von Orientalisten, Islamisten, Historikern und Theologen ist es, den Koran mit denselben textkritischen Methoden zu deuten, die seit langer Zeit auch in der christlichen Theologie angewandt werden. Die Saarbrücker Koranforscher vertreten deshalb eine Position, die derzeitig nur von einer Minderheit von Orientalisten vertreten wird.

Bereits zwei Sammelbände hat die Saarbrücker Forschergruppe 2005 und 2007 herausgegeben, die das bisherige Bild der Entstehung des Korans und des Islam revolutionieren. Die interdisziplinäre Forschergruppe widmet sich seit einigen Jahren der Sichtung und Neubewertung von Quellen zur Frühgeschichte des Islam. Dabei stehen die spärlichen urkundlichen Zeugnisse des 7. und 8. Jahrhunderts - meist Inschriften und Münzen - im Mittelpunkt. Mitte März nun fand dazu ein internationales Kolloquium unter dem Titel "Frühe Islamgeschichte und der Koran/Early History of Islam and the Koran" in Otzenhausen an der Saar statt. Mitveranstalter war das Committee for the Scientific Examination of Religion (CSER), ein 1983 gegründetes Forschungsinstitut in Washington, DC.

Im Einleitungsreferat stellte Karl Heinz Ohlig (Saarbrücken) den gegenwärtigen Stand der Arbeiten der Gruppe dar: Für das 7. und 8. Jahrhundert fehlen urkundliche Zeugnisse einer neuen Religion im nahen und mittleren Osten. Die frühen arabischen Herrscher treten in ihren Urkunden entweder ohne religiöse oder mit christlichen Kennzeichen auf. Ausgangspunkt der auf das Jahr 622 bezogenen neuen arabischen Zeitrechnung und der damit verbundenen Zeitenwende scheint der Beginn einer arabischen Alleinherrschaft in Syrien zu sein, der mit dem Sieg der Byzantiner und ihrer arabischen Verbündeten unter Herakleios über die Sassaniden unter Chosrau II. in diesem Jahr zusammenhängen könnte.

Mit dem endgültigen Zerfall des Sassanidenreichs im Verlaufe der nächsten Jahrzehnte dehnte sich der Machtbereich der arabischen Hilfstruppen der Byzantiner auch auf den iranischen Raum aus. Auf Münzen aus dem Osten dieses Raums tritt erstmals ab 660 als eine unter mehreren Herrschaftsdevisen die Losung "MHMT/muhammad" auf, wörtlich "der Gepriesene/der Gelobte". Hierbei handelte es sich - und dies ist der Kern der theologischen Neubewertung - zunächst um eine Ehrenbezeichnung für Jesus Christus, wie noch in der aus dem Jahre 691 stammenden Inschrift Abd el-Maliks im Innern des Felsendoms zu ersehen ist.

Die Christologie der arabischen Herrscher stand allerdings in einem markanten Gegensatz zu Byzanz, dessen Lehre von der Gottessohnschaft und Dreieinigkeit abgelehnt wurde. Wesentliche Aussagen des in dieser Zeit in Entstehung begriffenen Koran stimmen mit diesem syrischen "vornizäischen" Christentum überein. Erst im Verlauf des 9. Jahrhunderts wurde der zunehmend abstrakt verstandene und von der Person Jesu losgelöste Begriff "muhammad" sekundär mit neuen theologischen und biographischen Inhalten gefüllt, bis schließlich die islamische Historiographie zur Zeit der Bagdader Abbassidenherrschaft im Wege der historischen Projektion ein festgefügtes Geschichtsbild schuf, in dem ein in Mekka und Medina wirkender arabischer Prophet gleichen Namens im Mittelpunkt steht.

Der Romanist Johannes Thomas (Paderborn) lieferte in seinem Referat "Frühe spanische Zeugnisse in arabischer Sprache und erste Aussagen zum Islam" Belege, daß die legendäre islamische Eroberung Spaniens im Jahre 711 eher als eine Fehde zwischen Arianern und katholischen Spaniern anzusehen sei, bei der die maurischen Hilfstruppen der Arianer schließlich zu arabischen Eroberern wurden, die mit dem Islam sowenig zu tun hatten wie die Omayaden, die nach dem Tode Mohammeds mehr als hundert Jahre lang die Vorreiterrolle in der islamischen Welt übernommen haben sollen.

Wie im syrischen Raum fehlen auch in Spanien im 8. Jahrhundert alle Anzeichen für eine neue Religion. Erst im Verlauf des 9. Jahrhunderts zeichnet sich eine Wandlung ab. Politisch wird zunehmend Druck auf Christen ausgeübt, diese identifizieren ihrerseits Mohammed als Antichrist. Gleichwohl betrachten noch in den Akten des Konzils von Cordoba (839) die dort versammelten Bischöfe lediglich die häretischen "Casianer" als ihre Gegner. Der islamisch-christliche Gegensatz steigert sich erst ab 1100 zu einem "Heiligen Krieg".

Gemessen an den üblicherweise von Historikern angelegten Maßstäben, ist über Mohammed so gut wie nichts bekannt. Was Islamwissenschaftler über das Leben Mohammeds wissen, stammt fast ausschließlich aus der Biographie Ibn Ishâqs, der umfassendsten und frühesten Quelle, die um 750 im Irak entstanden ist. Wenn es einen Religionsgründer Mohammed nur als legendäre Rückprojizierung gegeben hat (ähnlich wie die biblischen Figuren Abraham oder Moses), wer war dann der Autor des ihm geoffenbarten Buches, des Koran?

Hier vertritt der pseudonyme Koranforscher Christoph Luxenberg, dessen Werk "Die syro-aramäische Lesart des Koran" 2000 für erhebliches Aufsehen in der Fachwelt gesorgt hatte (JF 39/04), die Auffassung, daß der Koran nicht nur in einem syro-aramäischen Sprachumfeld entstanden ist, sondern zumindest in großen Teilen auf einer syrischen christlichen Grundschrift basiert. Luxenberg teilte in Otzenhausen Überlegungen zu den "geheimnisvollen Buchstaben" des Korans mit, die sich am Beginn mehrerer Suren finden. Vergleicht man den Koran mit dem siebenbändigen aramäischen Liturgiebuch, so drängt sich der Vergleich mit den darin verwendeten Buchstaben auf, die sich teilweise auf die Zahl eines bestimmten Psalms beziehen, teilweise auf liturgische Abkürzungen, Anweisungen oder Tonarten.

In einigen Fällen scheinen sich auch die im Aramäischen als Abkürzungszeichen dienenden Oberstriche im Koran erhalten zu haben. Dies deutet auf eine frühere Funktion eines Teils der koranischen Texte im christlichen Gottesdienst hin. Eine andere Funktion läßt sich für die Suren 73 und 74 nachweisen. Ihr Inhalt wird erst verständlich, wenn man mit der von Luxenberg angewandten philologischen Methode das Aramäische zu Hilfe nimmt. Sie erweisen sich dann als Regeln für ein Mönchsleben. Ein in Sure 73 offenbar zu einem späteren Zeitpunkt eingeschobener Kommentar zeigt, daß diese Bedeutung von Koran-Kommentatoren nicht mehr erkannt wurde.

Einer der mit größter Spannung erwarteten Redner des Kolloquiums war der durch zahlreiche Publikationen berühmt gewordene Autor Ibn Warraq, der 1946 in Indien geboren wurde und in Pakistan aufgewachsen ist, wo er verschiedene Koranschulen besuchte. In Edinburgh hat er Islamwissenschaft studiert und sich vom Islam abgewandt. Er veröffentlicht unter dem Namen Ibn Warraq, einem Pseudonym, das traditionell von kritischen Denkern im Islam verwendet wird. Seit 2004 liegt sein Bestseller zum Islam auch auf deutsch vor ("Warum ich kein Muslim bin").

In Otzenhausen sprach er über sein neuestes Buch "Defending the West: Eine Kritik an Edward Saids Orientalismus" das im August 2007 in Amherst/ New York erschienen ist. Das Buch entlarvt Saids antiwestliche Thesen, die von der orientalistischen Schule Saids benutzt wurden, um kritische Studien zur islamischen Welt und in islamischer Geschichte zu blockieren. Ibn Warraq führte aus, wie Said zu diesem Zweck die fundamentalen Errungenschaften vieler westlicher Orientalisten, darunter vieler deutscher jüdischer Orientalisten, diskreditieren wollte. Damit, so Ibn Warraq, befindet sich Said in einer in islamischen Ländern sehr populären Tradition antiwestlicher Diskurse, was dazu geführt hat, daß in tausend Jahren weniger Literatur aus westlichen Sprachen ins Arabische übersetzt wurde als in einem Jahr zum Beispiel fremdsprachige Werke ins Spanische.

Diese antiwestliche Einstellung islamischer Länder, die auch zur Entfernung Tausender westlicher Kunstwerke aus den Museen islamischer Länder geführt hat, besorgt selbst die Unesco, die in ihren Jahresberichten einen immer stärkeren Wissensrückgang der islamischen Länder gegenüber der Weltentwicklung dokumentiert. Diese Gefahr, so die Meinung vieler Kolloquiumsteilnehmer, hat bereits auch auf weite Teile der westlichen Islamforschung übergegriffen, die gerade im Bereich der Koranforschung viele ideologischen Scheuklappen der islamischen Koranrezeption übernommen hat.

 

Bodo Bost ist katholischer Theologe und hat zudem Islamwissenschaft studiert.

Foto: Melchior Lorck, Die große Moschee von Konstantinopel, Holzschnitt 1570: Wer war der Autor des Mohammed geoffenbarten Buches?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen