© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Keine Scheu vor Lenin und Mao
Der andere 68er: Henning Eichberg beschwor die revolutionäre Kraft des Nationalismus
Karlheinz Weissmann

Im Sommersemester 1968 wurde an der Universität Bochum ein Flugblatt verteilt, eines unter den zahllosen dieser Zeit, hektographiert, schlechtes Papier, in dem es hieß:

 "Kommilitonen!

wir sind in eine neue phase eingetreten.

- solange die funktionäre die professoren dann und wann zum einstellen der vorlesungen zwangen, konnte es uns gleichgültig sein. gibt es ein schöneres bild als professoren, die ängstlich den schwanz einziehen?

- solange man gegen die notstandsgesetze demonstrierte, konnte es uns recht sein. haben es die bonner besser verdient?

- aber wenn man uns studenten mit gewalt (streikposten) von den arbeitsplätzen fernhalten will, wenn man den vorlesungsklau zum system machen will, dann geht es uns unmittelbar an.

wenn die gewaltlosigkeit vorbei ist, wird die studentenschaft sich zu wehren wissen.

stürzt die funktionäre!

wehrt dem permanenten vorlesungsklau!

die antwort auf den 'streik' heißt: durchbruch"

Der Jargon und auch die Bezeichnung des Verantwortlichen - "republikanischer Studentenbund" beziehungsweise "aktionszentrum ruhr" - erweckten den Eindruck, als ob es sich um eine Veröffentlichung der studentischen Linken handelte. Wenn man den Text allerdings sorgfältiger las, mußte man zu dem Ergebnis kommen, daß hier jemand zwar linke Sprache und linke Symbole benutzte, damit aber andere Zielsetzungen verknüpfte.

Wie vielen, die das fragliche Flugblatt in die Hand bekamen, das deutlich geworden ist, kann nicht mehr festgestellt werden, der Republikanische Studentenbund war eine kurzlebige Organisation und mit dem "Republikanischen Club" der Gegenseite nie vergleichbar, bemerkenswert bleibt aber die Intelligenz der Tarnung, verknüpft mit der Idee, einen Keil zwischen die Studenten und den Kreis der linken Rädelsführer zu treiben. Beides ging auf Ideen des damals sechsundzwanzigjährigen Henning Eichberg zurück.

Eichberg, 1942 in Schlesien geboren, hatte seine Kindheit in der DDR verbracht, bevor seine Familie nach Hamburg übersiedelte. Er kam ursprünglich aus dem Lager der Neutralisten und geriet dann an parteipolitisch "ungebundene Zirkel der Rechten", die seine eigentliche politische Heimat wurden, während die Mitgliedschaft in der CDU zwischen 1964 und 1968 eher als Ausgangspunkt einer Unterwanderungsstrategie diente. Das hatte auch mit Eichbergs Plan zu tun, die Ideologie-feindschaft und Rückwärtsgewandtheit der Rechten zu überwinden. Er setzte auf eine Terminologie und Konzepte, die sonst bevorzugt von der Linken verwendet worden waren, zitierte in der Auseinandersetzung auch Lenin oder Mao und übernahm bestimmte Argumente nicht aus taktischen Gründen, sondern weil sie ihm zeitgemäß erschienen.

Aufschlußreich ist ein Manuskript Eichbergs aus dieser Zeit mit dem Titel "Leistungsuniversität und offene Gesellschaft". Darin ging es nicht nur um eine kritische Auseinandersetzung mit der linken Forderung nach "Demokratisierung" und Egalität, die im Widerspruch zum Leistungsprinzip stünden, sondern auch um eine Absage an das traditionelle Ordinariat und den "autoritären" Anspruch des "Establishments".

Was Eichberg in den unruhigen Jahren 1967/68 anstrebte, war eine "Alternativpartei", weder bürgerlich noch marxistisch, die die Dynamik der jugendlichen Revolte in sich aufnehmen und sinnvoll umlenken sollte. Er selbst sah sich nicht als Führer einer solchen Bewegung, sondern als deren Theoretiker. Deutlicher als in den Veröffentlichungen, die unter seinem Namen erschienen, wird das an jenen Texten, die er als "Hartwig Singer" schrieb. Seit dem Frühjahr 1967 hatte er unter diesem Pseudonym in der Zeitschrift Junges Forum eine Reihe von Texten veröffentlicht, die alle die Möglichkeiten eines "progressivem Nationalismus" behandelten. Eichberg interessierte sich zwar auch für verschiedene neokonservative Bewegungen, aber sein Hauptaugenmerk galt damals den "europäischen Nationalisten" und dem Versuch, eine geschlossene rechte Ideologie zu schaffen.

Viele seiner Leser irritierte - und solche "Provokation" war beabsichtigt - der Rekurs auf wissenschaftliche Theorien, die bis dahin niemand mit einer rechten Position verknüpft hatte; Eichberg forderte:

l eine "neue Rationalität", die sich später an der Erkenntnistheorie des "Wiener Kreises" orientierte,

l die Nutzung ethologischer (Bedeutung der biologischen Differenzen zwischen Individuen einerseits, Rassen andererseits, Rolle der Territorialität und Aggressivität des Menschen)

l sowie soziologischer Erkenntnisse (Gruppengebundenheit des Individuums und dessen Bedürfnis nach Identität gerade unter den Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft),

l aus denen dann erst die politischen Konsequenzen zu ziehen waren, etwa die Forderung nach kulturell homogenen Großräumen (bald von Eichberg mit dem Begriff "Ethnopluralismus" verknüpft) und der Aufbau eines organisatorischen Sozialismus.

Eichberg betonte ausdrücklich das "Futuristische" seines Entwurfs, den er als Ergebnis der Entwicklung einer spezifischen europäischen Rationalität betrachtete. "Nationalismus" war insofern weder Nostalgie noch "Blut und Boden", sondern eine revolutionäre Kraft, die erst in der Industriegesellschaft vollständig zur Durchsetzung kam. Vieles von dem, was er vortrug, war inspiriert durch das französische Vorbild einer neuen rechten Intelligenz, da der "betonte Irrationalismus des deutschen Nationalismus" seiner Meinung nach verhinderte, eine adäquate Weltanschauung zu begründen. Was ihn an Verbänden wie Jeune Nation faszinierte, die er in den sechziger Jahren kennenlernte, waren das Kaderprinzip, der Kollektivismus und die Antibürgerlichkeit bis hin zum Rechtsrock der halbstarken blousons noirs, die sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten.

Am stärksten interessierte ihn aber der Kreis um die Zeitschrift Europe Action, die Dominique Venner, ein Veteran der französischen Untergrundbewegung OAS in der Endphase des Algerienkrieges, gegründet hatte und die zunehmend von dem jungen Alain de Benoist geprägt wurde. Hier fand Eichberg jene geistige Beweglichkeit, die er an den Protagonisten der deutschen Rechten vermißte, zusammen mit einer überraschenden Fähigkeit zur Distanz - gegenüber dem Faschismus oder dem Kolonialismus etwa - und der Unbekümmertheit, an Traditionen anzuknüpfen, die in Deutschland nach 1945 diskreditiert waren: die Faszination der germanischen und keltischen Vergangenheit oder der Rückgriff auf die heidnischen Religionen.

Eichbergs Versuche, die französischen Ansätze auf Deutschland zu übertragen, sind gescheitert. Er fand niemals dieselbe Gefolgschaft wie Benoist, kein Organisationsversuch der dann so genannten "Nationalrevolutionäre" war erfolgreich, ein der Theoriezeitschrift Nouvelle Ecole vergleichbares Organ ließ sich nicht installieren.

Aber das ist nur die eine Seite der Bilanz. Armin Mohler hat einmal geäußert, daß seine eigenen Söhne mit der Rechten der sechziger Jahre sowenig anfangen konnten wie fast alle anderen jungen Leute. Es habe aber eine Ausnahme gegeben: Henning Eichberg. Der paßte schon wegen seines Äußeren nicht in das Schema, mit seinen halblangen Locken und offenem Hemd, dem Schreiben von Gedichten und Liedern und der Veröffentlichung von Privatdrucken in avantgardistischer Manier. Es steckt darin ein Verweis auf die Unwiderstehlichkeit von '68, und wenn Eichberg in manchem wie ein Linker wirkte, dann kopierte er nicht einfach ein Muster oder trieb Camouflage. Er war fasziniert vom politischen Aktivismus der Gegenseite, und seine Haltung gegenüber der Revolte hatte immer etwas Ambivalentes.

Die Pointe seiner Kritik der Neuen Linken - Inkonsequenz bei der Verfechtung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, das zwar für die Dritte Welt, aber nicht für die Osteuropäer oder die Deutschen gelten sollte, Unfähigkeit, die eigene irrationale Motivation zu erkennen - lag bezeichnenderweise in dem Schluß, daß die APO scheitern müsse, wenn sie nicht die Nähe zu ihren Gegnern auf der militanten Rechten sehen lerne, das gemeinsame Ziel - die Überwindung einer "ziellosen Gesellschaft" - und das tertium comparationis begreife: "die Bewegung".

Literaturempfehlungen: Henning Eichberg, Die Geschichte macht Sprünge. Fragen und Fragmente, 241 Seiten, kartoniert, 9,95 Euro; ders.: Abkoppelung. Nachdenken über die neue deutsche Frage, 218 Seiten, kartoniert, 9,95 Euro; beide im  Verlag Bublies, Schnellbach, Internet: www.bublies-verlag.de

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