© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Wir haben uns doch alle lieb
Altersmilde: Ein Gespräch zwischen Springer-Patriarch Ernst Cramer und dem Alt-68er Peter Schneider
Richard Stoltz

Auch wer Peinlichkeiten verbreitet, sollte dabei gewisse Grenzen einhalten. Was die Redaktion der Welt am Sonntag vergangenes Wochenende an Peinlichkeit abgeliefert hat, überschritt aber den Rahmen beträchtlich. Es ging, wieder einmal, um die neuartige Sehnsucht des Springer-Konzerns (zu dem die Welt am Sonntag gehört), sich mit den 68ern zu "versöhnen". Kein Geringerer als Firmenpatriarch Ernst Cramer (95) war diesmal aufgeboten, um in einem langen Gespräch mit dem Alt-68er und Aktivisten der "Enteignet Springer!"-Kampagne, Peter Schneider (67), zu verkünden, "daß  auch Springer damals Fehler gemacht hat".

Ab und zu, erzählte Cramer, besuche er das Grab von Axel Springer, und anschließend gehe er auch immer zum Grab von Rudi Dutschke, das ganz in der Nähe liege. Denn Dutschke sei ein echter deutscher Patriot gewesen. Nur, wie stehe es mit Herrn Schneider? Der sei doch damals dem "Springer-Tribunal", das Dutschke & Co. gegen den Verleger organisierten, nur beigetreten, weil Springer ihm kurz vorher die Freundin ausgespannt hatte. Eifersucht statt Weltrevolution.

Im übrigen, ergänzte fröhlich der Gesprächsleiter Ulli Kulke (der sich extra als ehemaliger taz-Redakteur vorgestellt hatte), sei Dutschke ja alter Mitarbeiter von Springer gewesen, in den frühen sechziger Jahren habe er Fußballreportagen für die B.Z. geschrieben. Ach ja, der liebe Rudi.

Bei dieser Mitteilung verschlug es dem Gesprächspartner Schneider glatt die Sprache. Bis dahin hatte er den abgebrühten Debatten-Strategen herausgekehrt, der die "echten" 68er eifrig als arme, speziell von Springer verfolgte Hascherl hinstellte. Jetzt konnte er nur noch stammeln: "Rudi Dutschke, Fußballreportagen für die B.Z., soso".

Gegen Ende des Gesprächs ließ der Schreck dann freilich spürbar nach. Schneider: "Wenn frühere taz-Leute und Revoluzzer in dem Weltkonzern mitarbeiten, um so besser. Stellt noch mehr ein." Darauf Cramer: "Wenn Leute wie Sie nicht ab und zu bei uns schrieben, würden wir etwas falsch machen." Will heißen: Wir haben uns doch im Grunde alle lieb. Der Patriot Dutschke wird sich im Grab umdrehen.

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