© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Freundliche Übernahme
Lobbyisten: Mitarbeit von Wirtschaftsvertretern in Bundesministerien sorgt für Aufregung / Bundesrechnungshof fordert Konsequenzen
Josef Hämmerling

Nichts ist gefährlicher als der Einfluß der Privatinteressen in den öffentlichen Angelegenheiten." Dieser Satz des französisch-schweizerischen Moralphilosophen Jean-Jacques Rousseau gewinnt angesichts der Debatte über die Mitarbeit von Vertretern der Wirtschaft in Bundesministerien aktuelle Bedeutung. Um so schlimmer, was der Bundesrechnungshof jetzt herausfand: daß nämlich zwischen 2004 und 2006 rund 300 Lobbyisten in den Bundesministerien und in obersten Bundesbehörden beschäftigt waren; zwei von ihnen arbeiteten sogar als Referatsleiter an der Erarbeitung von Gesetzen mit (siehe auch den Kommentar auf Seite 2).

Weit über die Hälfte dieser Personen hat Leitungsvorlagen erstellt, 60 Prozent haben die Bundesregierung nach außen vertreten, 20 Prozent haben direkt an Vorlagen für Gesetze oder Bestimmungen mitgeschrieben, und ein gutes Viertel war an Vergabeverfahren beteiligt. Diese Personen kommen unter anderem aus Konzernen und Wirtschaftsverbänden. Aus dem vertraulichen 60seitigen Bericht des Bundesrechnungshofs geht hervor, daß mehr als 60 Prozent dieser Lobbyisten sogar weiter von diesen Organisationen bezahlt wurden.

Die meisten dieser Lobbyisten (35 Personen) arbeiteten 2006 im Bundeswirtschaftsministerium, darunter Mitarbeiter von Daimler-Chrysler, Bayer, BASF, Lufthansa, Eon, IBM und Thyssengas sowie von Lobby-Vertretungen wie dem Verband der chemischen Industrie, dem Verband forschender Arzneimittelhersteller sowie der deutschen Gas- und Wasserwirtschaft. Die Bundesregierung spielt das alles zwar mit dem Hinweis herunter, diese Leute hätten die Ministerien nur beraten. Wenn man sich folgende Fälle betrachtet, sind jedoch Zweifel angebracht: So erhielt etwa ein Unternehmen, das einen Mitarbeiter in ein Bundesministerium entsandte, von genau diesem Ministerium Aufträge. Eine Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft brachte erfolgreich einen Mitarbeiter in einem Ministerium unter, bemühte sich aber gleichzeitig um Aufträge dieses Ressorts. Auch die Banken waren recht aktiv: So brachte die Deutsche Bank ihre Mitarbeiter gleich in vier Ministerien unter, und ein öffentlich-rechtliches Geldinstitut entsandte gleich fünfzehn Mitarbeiter in oberste Bundesbehörden.

Dieses "Austauschprogramm" wurde 2002 von der SPD-geführten Bundesregierung ins Leben gerufen und stand unter der Leitung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD). Es sollte "das Verständnis zwischen Wirtschaft und Bürokratie verbessern". Fachleute aus Unternehmen und Verbänden sollten Ministeriumsluft schnuppern, während Ministerialbeamte Erfahrung in der freien Wirtschaft sammeln sollten. Statt "Seitenwechsel", wie das Programm offiziell hieß, war es jedoch eine "Einbahnstraße". Den von der Bundesregierung eingestandenen 100 bis 120 externen Mitarbeitern standen nur 12 bis 15 Ministerialbeamte gegenüber, die das "freiwillige Angebot" nutzten, in der freien Wirtschaft zu arbeiten.

Der Bundesrechnungshof forderte als Konsequenz seiner Erkenntnisse  "einen einheitlichen und strengeren Verhaltenskodex für diese 'Leihbeamte'": "Auf keinen Fall" dürften sie an Gesetzesentwürfen und der Auftragsvergabe mitarbeiten, die Bezahlung müßte grundsätzlich von der Bundesregierung erfolgen. Zudem sollten sie nicht länger als sechs Monate in einem Ministerium beschäftigt werden. Scharfe Kritik kam auch von den Grünen. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Volker Beck sagte, die Behauptung der Regierung, externe Mitarbeiter seien nicht für Leitungsaufgaben zuständig, habe sich als falsch erwiesen. Auch werde das Budgetrecht durch die Ministerien hintergangen. Aus diesem Grunde sei "sofortiges Handeln" vonnöten. Sollte dies nicht geschehen, werde seine Partei einen entsprechenden Antrag im Parlament einbringen.

Auch die "Initiative für Transparenz und Demokratie - Lobbycontrol" (www.lobbycontrol.de) fordert eine sofortige  Offenlegung des Einflusses von Lobbyisten in der Bundesregierung. Mit Kehrbesen und Schaufel rückten am vergangenen Freitag Aktivisten von Lobby Control vor dem Reichstagsgebäude an, um nach den Enthüllungen der vergangenen Tage gegen die sogenannten "externen Mitarbeiter" in den Ministerien zu protestieren. In einer symbolischen Aktion schüttelten die Aktivisten ein aus Pappen nachgebautes Ministerium, bis die Logos von Großkonzernen und Verbänden zum Vorschein kamen, die Lobbyisten in den Ministerien plaziert hatten. Eine den Bundestag darstellende Person kehrte dann die Firmenlogos hinter eine symbolische "Bannmeile" für Lobbyisten.

Foto: Demonstration gegen Lobbyismus vor dem Reichstag in Berlin: Sofortige Offenlegung gefordert

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