© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Signifikanter Anstieg
Grenzöffnung: Angesichts zahlreicher Diebstähle in Sachsen und Brandenburg geraten die Behörden unter Druck
Paul Leonhard

Die Aktion "Polizei on Tour" ist ein Renner. Überall wo das Beratungsmobil der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien im ostsächsischen Dreiländereck auftaucht, sind die Menschen auf den Beinen. Sie wollen nicht nur zu Themen wie "Sicheres Wohnen" und "Vorsicht! Wachsamer Nachbar - Wir passen auf!" beraten werden, sondern ihre persönlichen Ängste und Sorgen schildern. Sie wollen wissen, wie sie sich mit Schließsystemen, einbruchshemmenden Türen und Fenstern, mit Rolläden, Gitter, Garagen- und Zweiradsicherungen besser schützen können.

Denn seit dem Wegfall der Grenzkontrollen häufen sich in den Städten Görlitz und Zittau sowie dem Oberland entlang der tschechischen Grenze Einbrüche in Büros, Praxen, Werkstätten und Wohnhäuser, werden zielgerichtet Autos gestohlen oder aufgebrochen. In Görlitz hat sich sogar die Zahl der Autodiebstähle gegenüber dem Vorjahrsmonaten seit dem Wegfall der Kontrollen verzehnfacht. Sachsens Landespolizeipräsident Bernd Merbitz blieb nichts anderes übrig, als die Bewohner der Grenzregion um Verständnis dafür zu bitten, daß man "noch etwas Zeit braucht, damit sich die Lage auch bei den Kfz-Diebstählen wieder normalisiert".

Parallel bestätigte Richard Linß, Präsident der Polizeidirektion Oberlausitz-Niederschlesien, einen deutlichen Anstieg der Ladendiebstähle. Kurz darauf kam die Görlitzer Polizei einer Gruppe von sieben polnischen Kindern und Jugendlichen im Alter von 12 bis 20 Jahren auf die Spur, die seit dem 24. Dezember arbeitsteilig in Kaufhäusern gestohlen und die Beute umgehend in der polnischen Nachbarstadt Zgorzelec verkauft hat. In Zittau wurden zudem mehrere Fälle registriert, wo Kinder älteren Menschen die Taschen entrissen und in Autos mit polnischen Kennzeichen flüchteten.

Gern hätten die Grenzlandbewohner ihre Erfahrungen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geschildert. Schließlich war der Minister, der in den vergangenen Monaten häufig genug die Vorzüge der Grenzöffnung gepriesen hatte, Anfang April nach Zittau gekommen, um mit seinen Innenministerkollegen aus Polen und Tschechien über sicherheitspolitische Fragen im grenznahen Raum zu sprechen. Allerdings blieb Normalbürgern der Zutritt in den Bürgersaal des Rathauses verwehrt. So blieb es dem Zittauer CDU-Landtagsabgeordneten Heinz Eggert überlassen, den Politikern die Wahrheit zu sagen. Einen schönen Gruß von einer Frau richtete der frühere sächsische Innenminister der Politikerrunde aus. Bei dieser sei in das Privathaus sowie in die Werkstatt des Mannes eingebrochen worden, und sie wünsche sich doch nur ein sicheres Leben.

Eggert erntete für seine Bemerkung alles andere als wohlwollende Blicke von seinem Parteifreund Schäuble. Denn der hatte gerade ausführlich die Sicherheitslage in der Region gerühmt: "Die Sorgen der Menschen im grenznahen Bereich haben sich nicht bewahrheitet." Das gemeinsame Auftreten der Polizisten aus Deutschland, Polen und Tschechien sorge für mehr Sicherheit im Grenzgebiet. Auch der polnische Innenstaatssekretär Witold Drodz versicherte, daß die Zusammenarbeit der Polizisten musterhaft ist.

Hätten die Politiker allerdings den aktuellen Lageplan der Polizei gesehen, hätten sie erfahren müssen, daß die deutsche Polizei gerade mehrere tschechische Kriminelle laufen lassen mußte. Eine Nachfrage bei der tschechischen Polizei war unbeantwortet geblieben. Stunden zu spät kam das Antwortfax: Einer der Tschechen war zur Fahndung ausgeschrieben.

Nicht nur die Polizisten müßten grenzüberschreitend zusammenarbeiten, auch die Staatsanwälte und Richter, sagte Eggert. Auf Sicherheitsdefizite weist auch der Bund deutscher Kriminalbeamter (BDK) hin. Die Fallzahlen von Eigentumskriminalität hätten sich in den vergangenen drei Monaten im Grenzgebiet erhöht, sagte BDK-Bundesvorsitzender Klaus Jansen.

Die Gewerkschaft der Polizei kritisierte darüber hinaus, daß konkrete Fallzahlen zu Kriminalitätsdelikten wie Einbruch und Kriminalität bewußt zurückgehalten werden. Drei Monate seien zu kurz, um "seriöse und verläßliche Zahlen zu liefern", hieß es dagegen aus dem sächsischen Innenministerium. Immerhin räumte Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) inzwischen ein, daß in einzelnen Regionen des Freistaates wie etwa Görlitz und der Region um Zittau Straftaten wie der Autodiebstahl signifikant angestiegen seien.        

Foto: Blick über die Neiße nach Polen: Verunsicherte Bürger

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