© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/08 11. April 2008

Kolumne
Diabolische Verwirrung
Klaus Motschmann

Unter dem Titel "Hinsehen - Wahrnehmen - Ansprechen" hat die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg eine "Handreichung für die Gemeinden zum Umgang mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit" herausgegeben. Neue Erkenntnisse vermittelt diese Broschüre nicht. Sie faßt lediglich alte Irrtümer, Wahrheiten und ideologische Vorurteile zusammen und dokumentiert damit ihre Resistenz gegenüber allen Bedenken, Erfahrungen und Tatsachen. Man ist offensichtlich nicht bereit, sich um einen eigenständigen Beitrag zu bemühen. Dazu gehört eine kritische Überprüfung der Aufforderung an die Gemeinden, "Rechtsextremismus auch in scheinbar harmlosen Formen nicht in ihrer Mitte zu dulden". Ähnlichkeiten mit einem 68er Dogma, der Verweigerung von Toleranz gegenüber Konservativen (Herbert Marcuse), sind nicht zufällig.

Eine überzeugende theologische Begründung für diese ideologische Maßregel wird nicht geboten. Es ist richtig, daß es in der Bibel eindeutige Schutzgebote gegenüber Fremden gibt. Es ist allerdings auch richtig, daß es nicht minder eindeutige Mahnungen für die Fremden gibt, die Gesetze und Bräuche des Gastvolkes zu beachten und kein Ärgernis durch Mißachtung derselben zu verursachen. Man lese dazu einmal die Bücher Esra (insbesondere Kapitel 10) und Nehemia (Kapitel 13) und von da aus weiter. Es ist also schon so, wie die Handreichung formal richtig zitiert - und trotzdem irritierend: "Es soll ein und dasselbe Recht unter euch sein für den Fremdling wie für den Einheimischen: Ich bin der Herr euer Gott" (3. Mose 24, 22). Zur Vermeidung gezielter Mißverständnisse sollte nur hinzugefügt werden, daß die Rede von den Rechten des Gastvolkes und nicht denen der Fremdlinge die Rede ist. Verstöße gegen diese Rechte, sei es durch Einheimische oder Fremdlinge, wurden unter strenge Strafe gestellt: "Wer des Herren Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen" (3. Mose 24,16).

Es wäre ein großer Gewinn und ein Zeichen der Besinnung, wenn verantwortliche Theologen und Kirchenleiter endlich einmal auf diese engen Zusammenhänge hinweisen würden - wie immer man dann diese Texte auch interpretieren mag und muß. Das Verschweigen wichtiger Aussagen und das Herausreißen aus den Textzusammenhängen führen zu einer diabolischen Verwirrung in den Gemeinden und damit auch zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit.

 

Prof. Dr. Klaus Motschmann lehrte Politikwissenschaft an der Hochschule der Künste Berlin.

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