© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/08 04. April 2008

Im Tal der vertanen Chancen
Opposition: Die FDP hat ihre Rolle im Fünf-Parteien-System noch nicht gefunden / Schwarz-Gelb als Auslaufmodell / Verständigung mit den Grünen als Alternative
Paul Rosen

Etwa jeder Zehnte hat sie 2005 gewählt. Zu hören ist von der FDP jedoch wenig. Parteichef Guido Westerwelle sorgt allenfalls mit Kalauern vorübergehend für Aufmerksamkeit. So forderte er die Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Kraftstoffe, damit freie Bürger endlich wieder preiswerter freie Fahrt haben. Ansonsten ist es um die Partei, die in der alten Bundesrepublik eine Schlüsselrolle spielte, still geworden. Selbst die Datensammel- und Kontrollwut des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble (CDU) läßt die Liberalen fast kalt.

2002 hatte Unionskandidat Edmund Stoiber die Bundestagswahl knapp verloren. Damit war klar, daß die Wahl 1998, bei der SPD und Grüne die Regierung Kohl ablösten, kein kleiner Betriebsunfall war, sondern die Liberalen das lange und trockene Tal der Opposition erreicht hatten. Bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 bäumte sich das bürgerliche Lager noch einmal auf. Der Dreierbund aus Angela Merkel, Edmund Stoiber und Guido Westerwelle hatte zuvor Horst Köhler als Bundespräsidenten durchgesetzt. Westerwelle gelang mit 9,7 (2002: 7,4) Prozent einer der größten liberalen Erfolge bei einer Bundestagswahl. Doch die Union schwächelte, so daß es zur Großen Koalition mit der SPD kam.

Seitdem bröckelt die seit 1982 bestehende Verbundenheit zwischen Christdemokraten und Liberalen. "Wir dürfen uns nur noch auf eines verlassen: auf uns selbst", so Westerwelle in einem Interview mit dem Spiegel. Die Union habe sich "extrem verändert". Merkel habe sich "verabschiedet vom schwarz-gelben Projekt der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft", sagte der FDP-Chef.

Von seiner eigenen Partei konnte Westerwelle so etwas gewiß nicht behaupten. Die Programmatik der FDP wurde seit Jahren nicht aktualisiert. Viele Mitglieder der Fraktion fühlen sich immer noch wie Staatssekretäre im Wartestand. Das wird besonders in der Sicherheitspolitik deutlich. Während die FDP-Außenpolitiker wie die Regierung die Bundeswehr möglichst in jeden Krisenherd schicken möchten, sind Verteidigungspolitiker wie Birgit Homburger und Elke Hoff kritischer. Das Hauen und Stechen in der Fraktion mit unterschiedlichem Ausgang bekam der Außenansicht nicht: Mal lehnte die FDP Einsätze ab, mal war sie dafür.

Derweil rollte die neue politische Großwetterlage über Westerwelles FDP hinweg. Das Aufkommen der Linkspartei verhinderte nicht nur im Bundestag Schwarz-Gelb, sondern auch in Hessen, und in Hamburg kam die FDP erst gar nicht in das Landesparlament, weil der dortige CDU-Bürgermeister Ole von Beust gleich Schwarz-Grün wollte und somit das frühere Funktionsargument wegfiel (FDP wählen, um der CDU die Mehrheit zu sichern). Die FDP gibt vor allem der Union die Schuld: Der Wunschpartner von damals sei wie die anderen Parteien ein "Opfer des Linksrutsches".

Doch für Schwarz-Gelb reicht es immer seltener zur Parlamentsmehrheit. Das hat Merkel längst begriffen und ließ deshalb Ole von Beust in Hamburg schwarz-grüne Sondierungen vornehmen. In Hessen scheitern Gespräche mit den Grünen noch an der Person des CDU-Chefs Roland Koch. Westerwelle merkte: Er steht auf verlorenem Posten.

Das hätte alles anders sein können. Es war Jürgen Möllemann, der das "Projekt 18" erfand und Westerwelle auch dazu zwang. Bis zu 18 Prozent sollten die Liberalen einsammeln: enttäuschte Konservative ebenso wie Bürgerrechtler, die eine neue Heimat gegen den Schnüffelstaat suchten. Doch mit Möllemanns Freitod starb das "Projekt 18". Westerwelle gab seine mit der Zahl 18 besohlten Schuhe ins Museum.

Aber selbst zehn Prozent sind zu wenig, um Zünglein an der Waage spielen zu können. Zu spät setzte sich die Partei, in der einst Personen wie Werner Maihofer, Gerhart Rudolf Baum und
Burkhard Hirsch maßgebend waren, gegen Schäubles Datensammel- und Überwachungswut in Bewegung. Westerwelle gab zu, daß man die Bürgerrechte "zu lange vernachlässigt" habe. Die Bundestagsfraktion wirkt übermüdet. Der Chef schickt schon mal Rundmails, in denen er nach zündenden Themen fragt. Antworten kämen selten, heißt es. Die Chance, sich als große bürgerliche Partei zu etablieren, deren Spektrum von Konservativen bis Datenschützern reicht, ist vertan.

Mitte März setzte Westerwelle in seinem Präsidium einen überraschenden Kurswechsel durch. Nachdem er bereits vorher auf die Union geschimpft und Merkel ihm im Bundestag mehrfach die kalte Schulter gezeigt hatte, befahl der FDP-Chef die Öffnung. Grund sei, daß die Union jetzt mit den Grünen anbandele. Doch kurzfristig wird sich nichts ändern. Zu sehr sind die Positionen der Parteien zum Beispiel in Hessen festgelegt. Aber für die Bundestagswahl 2009 könnten sich interessante Möglichkeiten bieten: 30 Prozent Union plus zehn FDP plus zehn Prozent Grüne würden eine Mehrheit ergeben und die beiden kleinen Parteien wieder an die Macht bringen. Schon mahnt Ralf Fücks, der Vorsitzende der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, in einem Fünf-Parteien-System komme es maßgeblich auf die Fähigkeit von Grünen und FDP an, sich zu verständigen. Es fragt sich nur, ob die Wähler diese Rechenspiele mitmachen.

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