© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/08 04. April 2008

"Nazisprüche am Küchentisch"
"Kampf gegen Rechts": Das Aussteigerprogramm Exit gibt es jetzt auch als Familienpackung / Gründer Bernd Wagner Offizier der DDR-Volkspolizei
Peter Freitag

Für Eltern, denen der Nachwuchs mit "Nazisprüchen am Küchentisch" den Tag vermasselt, gibt es jetzt professionelle Hilfe: Das Rechtextremisten-Aussteigerprogramm Exit hat in der vergangenen Woche in Berlin seine "Familienhilfe" gestartet.

"Die Exit-Familienhilfe wendet sich an all jene, die direkte Kontakte besonders zu rechtsextrem orientierten Jugendlichen haben und sich mit der Ideologie des Kindes nicht anfreunden möchten", heißt es in einer Erklärung der Verantwortlichen. Das Angebot richte sich nicht alleine an Mütter und Väter, "sondern auch Großeltern, Geschwister, Onkel und Tanten, Freunde sowie Multiplikatoren im Umfeld des Kindes". Zielgruppengerecht sollen Netzwerke aufgebaut werden, um den Betroffenen mit individueller Beratung, aber auch langfristiger Unterstützung beistehen zu können. Vor allem vermittelt Exit auch Kontakt zu anderen "Aussteigern" und tritt besonders mit diesen unter Vertrag stehenden Ex-Nazis-zum-Anfassen gern vor die Medienöffentlichkeit.

Exit wurde im Jahre 2000 laut Eigendarstellung von "Ex-Kriminaloberrat Bernd Wagner und Ex-Naziführer Ingo Hasselbach" gegründet und verdankt seine Bekanntheit nicht nur dem im selben Jahr ausgerufenen "Aufstand der Anständigen", sondern auch der Trägerschaft durch die Amadeu-Antonio-Stiftung sowie der finanziellen und medialen Unterstützung durch einen Gas-Anbieter und den Stern.

Exit-Mitbegründer Ingo Hasselbach war Mitglied der Ost-Berliner Neonazi-Szene und nach 1989 Ansprechpartner des bekannten Hamburger Rechtsextremisten Michael Kühnen. Seit seinem literarisch verarbeiteten Ausstieg aus diesem kriminellen Milieu 1993 ("Die Abrechnung") gilt Hasselbach als der Ur-Aussteiger und erlangte ein gewisse Prominenz durch Film und Fernsehen.

Seinem Kollegen Wagner dürfte er noch als "polizeiliches Gegenüber" bekannt sein, denn der Diplom-Kriminalist verfügt ebenfalls über eine DDR-Vita: Kriminaloberrat ist nämlich die erst ab 1. Mai 1990 wiedereingeführte Dienstbezeichnung für jene, die vorher noch den Dienstgrad "Oberstleutnant der Deutschen Volkspolizei" (SED-Mitgliedschaft knapp 90 Prozent) führten.

Zu den vielen "Ex-", die für Exit tätig sind, gehört auch die langjährige Vorsitzende der gegen Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit gerichteten Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane. Die Ex-Ausländerbeauftragte von Ost-Berlin wäre fast auch eine Ex-Ausländerbeauftragte des Berliner Senats - denn sie konnte dieses Amt, für das sie 2003 vorgeschlagen worden war, nicht antreten, weil sie auch eine Ex-Stasi-Zuträgerin ist. Wegen ihrer Tätigkeit als "IM Victoria" wurde erst im September vergangenen Jahres eine Veranstaltung der Birthler-Behörde, bei der Kahane referieren sollte, abgesagt. Die vom Stern und der Amadeu-Antonio-Stiftung verantwortete Internetseite "Mut-gegen-rechte-Gewalt" beklagte daraufhin, Kahane werde zu Unrecht als "DDR-systemnah stigmatisiert". Auf einen kritischen Bericht der Welt über die abgesagte Veranstaltung hin hieß es dort, er enthalte alles, "was die rechtskonservative Zeitung JUNGE FREIHEIT regelmäßig lamentiert, um die Arbeit von Anetta Kahane mit Klischees zu diskreditieren".

Sie selbst sieht sich als eine Art spätberufene Widerständlerin. Schließlich habe sie, wird von ihr behauptet, von sich aus bereits im Jahr 1982 die Zusammenarbeit mit dem MfS beendet und sei dafür vom Regime hart bestraft worden - mit unverzüglicher Streichung des Reisekader-Privilegs. Auch über den ehemaligen VoPo-Obristen Wagner heißt es in eigener Sache, er sei "von seinen Aufgaben bei der DDR-Kripo entbunden worden, nachdem seine Recherchen über die Neonaziszene in der DDR immer mehr von dem zutage förderten, was der SED-Staat nicht wahrhaben wollte: daß es ein breites Netz strategisch operierender Neonazis schon zu DDR-Zeiten gab".

Nachdem im Laufe der Jahre immer mehr Verfassungsschutzämter eigene Aussteiger-Programme ins Leben riefen, bröckelte für Exit die - vor allem finanzielle - Unterstützung. Im Jahr 2006 stand das Projekt kurz vor der Pleite, erste Mitarbeiter mußten entlassen werden. Wagners Bettelbriefe fanden jedoch Gehör, und so zählt auch Exit zu den "Projektträgern", die anteilig von den 19 Millionen Euro profitierten, die die Bundesregierung im Jahr 2007 "zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie bereitgestellt" hat. Denn, so heißt es beim zuständigen Jugendministerium unter Ursula von der Leyen (CDU), auch zukünftig werde dieses Geld sachgerecht "für den Kampf gegen Rechts eingesetzt".

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