© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/08 28. März 2008

CD: Pop
Zeitentrückt
Georg Ginster

Der popkulturelle Umbruch der späten 1970er und frühen 1980er Jahre, dessen Protagonisten sich eigentlich außerhalb jeglicher Konvention stellen wollten, erfährt in jüngster Zeit eine geschichtliche Aufarbeitung. Mögen seine Historiographen auch bemüht sein, dem Selbstverständnis der vorgeblichen Bewegung, über die sie berichten, durch eine saloppe und assoziative Herangehensweise Rechnung zu tragen, so wollen sie doch nicht der Pedanterie abschwören, die jeder Rekonstruktion von Zusammenhängen auf der Basis von akribischem Quellenstudium und Zeitzeugenbefragung nun einmal eigen ist. So eine Literatur ist daher eigentlich nur etwas für Nostalgiker, doch entgeht auch der gewöhnliche Saturn-Kunde ihren Auswirkungen nicht. Was in der historischen Aufarbeitung derzeit im Mittelpunkt steht, findet sich als Neuauflage im CD-Sonderangebot, und wo ihr fortgeschrittenes Alter die Musiker noch nicht dazu gezwungen hat, die Instrumente aus der Hand zu legen, wagen sich manche von ihnen auf die Bühne oder ins Studio zurück.

So meint auch die britische Band Bauhaus, die man zu Olims Zeiten als "New Wave" etikettierte und heute nicht weniger nebulös unter "Postpunk" einsortiert, nach einem Vierteljahrhundert ohne "neues Material" mit "Go Away White" (Cooking Vinyl) noch einmal ihr Glück am Markt versuchen zu müssen. Damals, als sich nach dem Abebben der Punk-Welle Katerstimmung einstellte, weil die Sex Pistols und ihre Mitläufer zwar eine nette Haltung kultiviert, aber kaum etwas Hörenswertes zustande gebracht hatten, schien sie den Anspruch der Avantgarde auch in künstlerischer Hinsicht einlösen zu können und errang einen Nimbus, der ihre frühe Auflösung im Jahr 1983 überdauerte.

Warum die Mittel, die sie einsetzte, als aufregend galten, läßt sich allerdings beim Anhören der alten Aufnahmen nur erahnen. Die eigentlichen Klangexperimente waren allzu gewollt dilettantisch und mißlangen. Das Publikum honorierte weniger den Versuch, Überraschungsmomente durch planvolle Verstöße gegen Hörgewohnheiten zu setzen, sondern vielmehr die offenkundigen Anleihen bei David Bowie. Eher durch Zufall setzte Bauhaus - zumindest in rückblickender Betrachtung - einen Anfangspunkt zur Gothic-Strömung, die aber sowieso viele Väter hat und sich in Traumwelten hinein bewegte, die der ironischen Stimmung um 1980 fern waren.

"Go Away White" vermag dem nichts hinzuzufügen, wenn man davon absieht, daß die orientalischen Einflüsse wahrzunehmen sind, denen sich der Sänger Peter Murphy während seines langen Aufenthaltes in Istanbul hingegeben hat. Bauhaus macht zwar nicht einfach dort weiter, wo man vor einem Vierteljahrhundert aufgehört hat. Wohin die Reise gehen soll, wird allerdings nicht erkennbar. Die Frage dürfte auch unbeantwortet bleiben, da sich die Band dem Vernehmen nach bereits wieder aufgelöst hat.

Frei von jeglichem selbst auferlegten Zwang, Musikgeschichte schreiben zu müssen, sind hingegen die Raveonettes, und diese Unbeschwertheit hört man ihnen auch auf ihrer dritten CD "Lust Lust Lust" (Fierce Panda Records) an. Wenn dieses sich anlaßbezogen durch Gastmusiker verstärkende Duo dänischen Ursprungs gemeinhin mit dem Stigma des "Garagenrocks" belegt wird, ist dies zwar etwas despektierlich, aber insofern nicht irreführend, als sein Sound kraftvoll, schnell und einfach strukturiert ist. Sich zügellos treiben zu lassen, liegt ihm jedoch fern. Die Dynamik wird unterkühlt und gelassen im Zaum gehalten, in diesem Spannungsaufbau liegt das Erfolgsrezept der Raveonettes, das aber nicht immer erfolgreich zum Tragen kommt: Manchmal klingen sie halt nicht "psychedelisch", sondern leider bloß teilnahmslos.

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