© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Frisch gepresst

Eugen Dühring. In einer Fußnote seiner jüngsten Veröffentlichung (JF 11/08) regt Josef Schüßlburner an, die Beziehung zwischen dem nationalen Sozialisten Eugen Dühring (1833-1921) und dem Nationalsozialismus genauer ins Auge zu fassen. Damit ist wahrlich eine Forschungslücke benannt. Obwohl dieser Berliner Philosoph und Nationalökonom neben Houston Stewart Chamberlain in keinem Handbuch, in keiner Monographie über die "geistigen Wegbereiter" der Judenvernichtung fehlt, taucht doch nirgendwo mehr als sein Name nebst nichtssagender Etikette ("Rassenantisemit", "Sozialdarwinist") auf. Schon die Tatsache, daß ein Friedrich Engels diesem Privatdozenten, dessen Streitsucht ihm die venia legendi kostete, mit einer Riesenpolemik ("Anti-Dühring") zu Leibe rückte, hat in der gewöhnlichen "Vorläufer"-Fahndung nie für Irritationen gesorgt. Für den "Einstieg in Dühring" ist daher noch heute auf ein Porträt Gerd-Klaus Kaltenbrunners zurückzugreifen, aber auch dies hat nach vierzig Jahren Patina angesetzt. So betritt die Philosophiehistorikerin Peggy Cosman Neuland, wenn sie unter dem leider abschreckenden Titel "Physiodicee und Weltnemesis" (Eugen Dührings physiomoralische Begründung des Moral- und Charakterantisemitismus, Wallstein Verlag, Göttingen 2007, broschiert, 176 Seiten, 19,90 Euro) den "blinden Seher" von Nowawes, den "rabiaten Totengräber der Religion", aus dem Kontext der, wie Moshe Zuckermann im Vorwort formuliert, "im nachhinein konstruierten Auschwitz-Teleologie" befreit.

Die Pole. Sind die Pole auf unserer Erde fest, oder haben sie sich im Laufe der Erdgeschichte verschoben - und wie wirkte sich die eventuelle Verschiebung der Pole auf das menschliche Dasein aus? Diesen Fragen geht der Musikwissenschaftler und Esoteriker Joscelyn Godwin nach. Er lehrt an der Colgate-Universität im US-Bundesstaat New York und beschreibt die verschlungenen Wege dieses weitgehend obskuren Gedankengutes von seinem Entstehen in der Zeit der Aufklärung über Okkultisten und Schriftsteller des 19. Jahrhundert wie Jules Verne oder H. P. Lovecraft bis zur Theosophischen Gesellschaft Helena Blavatskys und zum "esoterischen Hitlerismus" in völkischen Kreisen wie der Thule-Gesellschaft. Er berichtet von spirituellen Zentren, real existierenden, polaren NS-Stützpunkten und Ufos. Obgleich er mit wissenschaftlicher Methodik eine Milieu- und Tatsachenbeschreibung vorlegt, ist man nicht selten versucht, bei Godwin etwas mehr als nur eine Sympathie für die schrulligen Gedankengebäude aus dem ewigen Eis wahrzunehmen (Arktos. Der polare Mythos zwischen NS-Okkultismus und moderner Esoterik. Ares Verlag, Graz 2007, gebunden, 335 Seiten, 29,90 Euro).

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