© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Frisch gepresst

Georg Michaelis. Reichskanzler Michaelis dürfte vielen Zeitgenossen kaum ein Begriff sein. Freilich, auf gut 100 Tage hat er es schon gebracht - im welthistorischen Jahr 1917. Der Spitzenbeamte aus der preußischen Finanzverwaltung, im März 1917 Staatskommissar für Volksernährung, zog als Nachfolger Theobald von Bethmann Hollwegs im Juli 1917 ins Reichskanzlerpalais ein, mußte aber im November bereits das Handtuch werfen - der erste parlamentarische Kanzlersturz der deutschen Verfassungsgeschichte. Denn Michaelis war nicht der Mann, der sich als Marionette der neuen Reichstagsmehrheit von Zentrum, SPD und Liberalen in Richtung "Versöhnungsfrieden" und Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen bewegen lassen wollte. Weder vor noch nach diesem ruhmhaften Intermezzo ist der schlesische Jurist über den jeweiligen Wirkungskreis als stellvertretender Regierungspräsident in Liegnitz, als Unterstaatssekretär oder gar als pommerscher Oberpräsident in Stettin hinaus aufgefallen. Trotzdem widmet ihm Bert Becker, der sich 15 Jahre lang mit der Biographie von Michaelis befaßt hat, eine kompendiöse Rostocker Habilitationsschrift, die vom Ehrgeiz befeuert wird, wenigstens jeden Monat im Leben dieser körperlich kleinen Exzellenz zu überliefern. Entstanden ist ein Zeitpanorama, eine "dichte Beschreibung" der wilhelminischen Epoche (Georg Michaelis. Preußischer Beamter - Reichskanzler - Christlicher Reformer. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2007, gebunden, 892 Seiten, Abbildungen, 98 Euro).

Der Gefreite. Brigitte Hamanns "Hitlers Wien" (1996) fehlt im Literaturverzeichnis. Das läßt sich als Kursbestimmung deuten. "Die Darstellung bayerischer Beziehungsnetzwerke", die Werner F. Grebner versucht, in denen "Der Gefreite Adolf Hitler 1914-1920" gefördert wurde (Ares Verlag, Graz 2008, gebunden, 152 Seiten, 19,90 Euro), verzichtet darauf, wie Hamann mit der Biographie zugleich ein "Epochengemälde" an die Wand zu werfen. Grebner beschränkt sich auf die minutiöse Chronik von Hitlers Militärkarriere in einem bayerischen Infanterie-Regiment und auf den nachrevolutionären Weg in die Politik. Im Vergleich mit den bekannten Hitler-Biographien von Fest, Kershaw et al. fördert der 1963 geborene Wiener Historiker viele unbekannte Details gerade aus dem politisch-militärischen Umfeld von völkischen Splittergruppen und Reichswehr zutage, wo sich seit Herbst 1919 der "Redner" und "Trommler" einzuüben begann. Doch im Ergebnis, daß Hitler nämlich ein "gezielt ausgebildetes Produkt der bayerischen Reichswehr" gewesen sei, fällt der Erkenntnisgewinn gegenüber bisherigen Bemühungen nicht so hoch aus - was bei einem derart hell ausgeleuchteten Forschungsgegenstand wohl auch nicht verwundert.

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