© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Aus Lehr- und Spielplänen verschwunden
Dabei ist Max Frischs Einakter "Biedermann und die Brandstifter" heute so zeitgemäß wie eh und je
Hans-Georg Meier-Stein

Max Frischs ursprünglich als Hörspiel entstandener Einakter "Biedermann und die Brandstifter", vor fünfzig Jahren uraufgeführt, ist sicherlich kein besonders herausragendes Werk der Literaturgeschichte, aber es eroberte sich rasch die Bühnen im deutschsprachigen Raum. Der ersten Aufführung am 29. März 1958 in Zürich folgte die deutsche Uraufführung in Frankfurt am 28. September.

Die Handlung ist rasch erzählt: Der wohlhabende, aber einfältige Haarwasserfabrikant Jakob Biedermann, der sich in seinem kleinbürgerlichen Verhältnissen behaglich eingerichtet hat, sitzt in seinem Wohnzimmer und erregt sich bei der Zeitungslektüre über die Brandstiftungen und Feuerbrünste in der Stadt.

Plötzlich verschaffen sich ungebetene Gäste aufdringlich Einlaß. Der vierschrötig-derbe Vagabund Josef Schmitz und der verkrachte Kellner Eisenring nisten sich mit ebenso kalter Berechnung wie hartnäckiger Entschlossenheit bei Biedermann auf dem Dachboden ein. Dort beginnt alsbald ein verdächtiges und angsteinflößendes Rumoren. Allen anfänglichen Drapierungen zum Trotz bleibt die Konsequenz der kriminellen Umtriebe, nämlich auch das Haus von Biedermann abzufackeln, nicht lange verborgen.

Am Ende reicht der Bürger den Chaoten die Zündhölzer

Aber Biedermann, irritiert und gelähmt von dem mal drohenden, mal beschwörenden, aber stets ungebärdigen Auftritt der beiden Eindringlinge, nimmt zwar mit wachsender Besorgnis die polternden Umtriebe wahr, ergibt sich aber hilflos und erbittert dem seltsamen Treiben der Fremden, die nach ihren ersten psychologischen Erfahrungen mit dem zurückweichenden Philister sukzessiv ihre Ansprüche durchsetzen und schließlich ganz nach eigenem Gutdünken schalten und walten.

Immer wieder im eigenen Haus zurückgesetzt und gedemütigt, verfallen Biedermann und seine Frau mehr und mehr in Resignation. Der kleinmütige Hang dieser Spießbürger, den rigorosen Eindringlingen zu willfahren, führt unbeabsichtigt zur verhängnisvollen Unterstützung der umstürzlerischen Anschläge und letztlich zum eigenen Untergang. Am Ende reicht Biedermann ihnen sogar die Streichhölzer, mit denen sie die Brandfackel in seinem Haus entzünden.

Das sehr einfach aufgebaute Stück spiegelt Reflexionen einer Zeitstimmung und will an Einzelgestalten die typischen Verhaltensweisen bestimmter Gruppen in krisenhaften Zuständen zeigen.

Die plebejischen Schlagetots und Eisenring, die sich mit rüdem Gebärden bei Biedermann Einlaß verschaffen, verkörpern politisches Rowdytum, das konsequent zur Vernichtung aller bürgerlichen Ordnungen drängt. Darüber hinaus zeigen sie auch den Einbruch archaischer Urbedürfnisse in eine bürgerliche Welt, die aus den Fugen kracht. Sie gehören zu den brachialen Vorhuten der von Georges Sorel beschriebenen politico-criminellen Assoziationen, mit denen neue Daseinsbedingungen aufbrechen.

In Biedermann und seiner Frau verdichten sich die Not- und Angstkomplexe einer bis auf den Grund verunsicherten bürgerlichen Gesellschaft. Beide scheuen die härteste, aber notwendige Auseinandersetzung. Vielmehr glauben sie, durch ihre aussichtslosen wie verkrampften Versuche, mit Anbiederung rosiges Einvernehmen herzustellen, und durch die Gewährung gewisser Zugeständnisse das Schlimmste abwenden zu können und Anerkennung und Schonung zu erheischen. Aber gerade dadurch leihen sie - wenn auch ungewollt - der planmäßigen Regie des Terrors ihre Unterstützung. Und in der Tat bestärkt solche Politik entgegenkommender Gesten und Gunstbeweise nur die verächtliche Auffassung, die der Gewaltglaube von einem Gegner hat, dem selbstbewußte Kontur fehlt und der opportunistisch und charakterlos einknickt und sogar auf die Linie der Usurpatoren einschwenkt.

Die psychologische Überwältigung, die den Eindringlingen durch die skrupellose Ausnutzung von Ängsten mit Hilfe ihrer materiellen Dämonie gelingt, zeigt, wie sehr es dem Bürgertum an Mut und Entschlußkraft fehlt und wie nachhaltig es in seiner seelischen Widerstandskraft bereits zermürbt ist. Biedermann kann sich nur noch durch Nachgeben trügerische Genugtuungen verschaffen. Illusionäre Selbstbeschwichtigung und irreale Vorstellungen von Brüderlichkeit, auf die er sich in seiner ohnmächtigen Torheit sogar einiges zugute hält, lassen ihn die ständig anschwellende Bedrohung und das sich anbahnende revolutionäre Geschehen, das auf die Durchsetzung des Gewaltprinzips und die politische Umgestaltung des Gemeinwesens zielt, völlig verkennen. Biedermann ist eben eine bewährungsuntüchtige, labile Durchschnittsfigur. Müde der ewigen Bedrängnisse, entmutigt und demoralisiert überläßt er in seinem individuellen Ohnmachtsgefühl dem anderen die Vernichtungsarbeit.

Das Stück wurde in den sechziger und siebziger Jahren oft gespielt und im Zuge der Vergangenheitsbewältigung auf die Hitler-Jahre projiziert. Und seine Aussage korrespondiert gut mit der linksliberalen Losung "Wehret den Anfängen!", die in der zweiten Hälfte der Sechziger ausgegeben wurde. Aber im Kalten Krieg konnte man Frischs "Brandstifter" allemal auch als Warnung vor kommunistischer Infiltration auslegen. Zudem ließ sich damit die Gefahr der Atomkraft beschwören.

Man wartet sehnsüchtig auf das Ende der Langeweile

Längst ist Frischs Drama von den Spielplänen der Theater und aus den Lehrplänen der Gymnasien verschwunden. Gewiß liegt das auch an seiner allzu schlichten Struktur, am schwerfälligen, ermüdenden Handlungsgang, an den anödenden Dialogen. Jeder sieht das Ende voraus und wartet sehnsüchtig auf den Ausgang, damit die Langeweile einen erlösenden Schluß findet. Der Ort der Handlung ist eine triste Wohnstube in mediokrem Kleinbürgermilieu. Personal, Handlung und szenische Situation sind eindimensional, ohne Überraschungsmoment, ohne unerwartete Wendung - alles ohne jede Faszination.

Aber an den offensichtlichen Mängeln dieses Stücks hatte man nie Anstoß genommen, vielmehr wurde es lange mit pädagogischer Absicht als aufklärerisches Kunstwerk hochgelobt. Wenn man sich heute einer Aufführung skeptisch widersetzt, liegt das vielleicht daran, daß das Stück ein Element des Widerspruchs zu jenem zukunftsgewissen und eifernd verteidigten Humanitarismus enthält, der kein Gefahrenbewußtsein mehr für das entwickelt, was Gemeinwesen bedroht, denn die rauschhaften Sozialutopien und Welterlösungsideen, die einen Teil der Nation befallen haben, werden von Frisch als Illusionismus und ideologische Blindheit entlarvt. Und so wird hier auch eine Gesellschaftspolitik als Feigheit vorgeführt, die meint, ständig den friedlichen Konsens mit all jenen herstellen zu müssen, die die Existenzbedingungen in Frage stellen.

So liegen denn die aktuellen Inhalte und die Brisanz des Stücks darin, daß es uns zeigt, wie rasch sich die Schwerkraft politischer Macht auf die Seite revolutionärer Dynamik und Subversion verlagert, wenn in einer zutiefst erschütterten Gesellschaft oder Nation ein entschlossener Selbstbehauptungswille fehlt. Die Katastrophen der Geschichte liefern dazu zahlreiche Beispiele.

Foto: Max Frisch, Schweizer Schriftsteller (1911-1991): Sein ursprünglich als Hörspiel entstandenes Stück "Biedermann und die Brandstifter" läuft am 30. März ab 20.05 Uhr auf WDR 3

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