© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/08 21. März 2008

Abschied von alten Feindbildern
Geschichtspolitik: Veranstaltung zum Verhältnis der Achtundsechziger zu den Vertriebenen / "Selbstmarginalisierung eigener Erfahrungen"
Harald Fourier

Aktuell war die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten immer - nämlich für diejenigen, die darunter gelitten haben. Sie haben die Erinnerung an die schrecklichen Ereignisse an ihre Kinder weitergegeben. Schließlich ist die ethnische Säuberung, von der zehn bis zwölf Millionen Deutsche betroffen waren, ohne Parallele in der Geschichte.

Zur Zeit wird das Thema diskutiert, weil die Linken es für sich entdeckt haben - eine Mode, die vorübergehen wird. Dabei hat es die Vertreibung zunächst im Bewußtsein des ganzen deutschen Volkes gegeben. Denken wir nur an den Film "Nacht fiel über Gotenhafen", der 1959 in die Kinos kam. Aber öffentlich wurde schon in den sechziger Jahren immer weniger über die Vertreibung gesprochen, weil es politisch nicht mehr korrekt war - weil die Deutschen ein verbrecherisches Tätervolk sind. Und diesen Zeitgeist verdanken wir vor allem den Achtundsechzigern, die mittlerweile ziemlich in die Kritik geraten sind.

Grund genug für die Stiftung Zentrum gegen Vertreibung, eine Diskussion mit dem Titel "Die 68er und die Vertriebenen" zu veranstalten. Im Potsdamer Alten Rathaus trafen sich hierzu in der vergangenen Woche Rüdiger Safranski, Antje Vollmer, Alexander Gauland, Julius Schoeps und Manfred Kittel. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, hatte kurzfristig absagen müssen.

Schoeps, Direktor des Moses-Mendelsohn-Zentrums, sagte ein paar einleitende Worte ("Wir Juden wissen, was Vertreibung bedeutet") und übergab dann an Gauland, den früheren Herausgeber der Märkischen Allgemeinen und bekennenden Konservativen. Gauland versuchte zu provozieren - ohne Erfolg. Früher hätte er Proteste mit seinen Äußerungen hervorgerufen, als er zum Beispiel Überlegungen anstellte, wie sich die Oder-Neiße-Linie doch noch hätte revidieren lassen. "Wenn wir wenigstens Niederschlesien zurückbekommen hätten ...", warf er einmal ein. Keine Reaktion.

Der Adorno-Schüler Rüdiger Safranski brachte die Haltung seiner Weggefährten von 1968 auf den Punkt: Der Holocaust habe die Bestrafung der Deutschen legitim gemacht. Dies sei die weitverbreitete Haltung seiner Generation gewesen. Safranski, dessen Familie aus Allenstein und Königsberg - aus Ostpreußen also - stammt, erinnert sich: "Ich höre noch meine Familie erzählen. Die sind durch die Hölle gegangen." Sie sind wohl viel zu spät aufgebrochen zur Flucht aus der Heimat.

Für Safranski, dessen Mutter damals mit ihm schwanger war, gab es zwei Sphären: die eigene Familiengeschichte einerseits und die Ideologie andererseits. Dazu kam: "Wir Achtundsechziger waren Anti-Anti-Kommunisten. Die, die jetzt für die Heimat eintraten, wollten nicht ihre Schuld anerkennen. Außerdem sind sie Teil des antikommunistischen Lagers wie die Nazis - die waren auch Anti-Kommunisten."

"Bei mir hat sich dieses Feindbild als stärker als die persönliche Erfahrungswelt herausgestellt. Das ist das Interessante." Und dann sagte er noch etwas, das in Zeiten des "Kampfes gegen Rechts" aktueller denn je ist: "Diesen Gegner haben wir als Feind besonders stark gemacht. Dieses 1968 geltende Feindbild hat die entscheidende Rolle gespielt." Angesichts der "Kriminalisierung der deutschen Geschichte" habe die Anhänglichkeit an Oberschlesien "ganz schlechte Karten gehabt": "So
erkläre ich mir die Selbstmarginalisierung der eigenen Erfahrungen." So selbstkritisch können Achtundsechziger sein.

Das hätte auch Antje Vollmer angestanden, wäre aber wohl ein wenig viel auf einmal gewesen. Die frühere Bundestagsvizepräsidentin berichtete von ihrem Verhältnis zur Vertreibung: Familiäre Wurzeln im Osten hat sie keine. 1968 oder davor oder danach war das Ganze für sie kein Thema. Erst 1994/95 begann sie als Grünen-Politikerin demonstrativ Vertriebenenveranstaltungen zu besuchen, als sie sich für die Aussöhnung mit der Tschechei einsetzte. Die Reaktionen aus ihrem rot-grünen Umfeld waren erschrocken: Was willst du denn da? Die dies fragten, stammten oft selbst aus Vertriebenenfamilien.

Nach diesen persönlichen Schilderungen fiel sie zurück in die alte Antihaltung. Sie wünsche sich eine Erklärung, daß der BdV die Oder-Neiße-Linie anerkennt. Dabei weiß sie ganz genau, daß dies gleichbedeutend wäre mit einer Erklärung der Grünen, in Zukunft auf Umweltschutz zu verzichten. Da könnten sich die beiden Organisationen auch gleich auflösen.

Das Zentrum gegen Vertreibungen lehnt sie auch ab, weil sie "gegen die Politisierung der Opferrolle" ist. Überhaupt die ganzen Mahnmale: "Wir sind schon bald Meister im Mahnmalbauen", war dann der letzte Satz der Antje Vollmer, der aufhorchen ließ. Immerhin bezeichnete sie auch noch die Kollektivschuldthese als falsch.

Oft redeten die vier Leute auf dem Podium, von denen nur Kittel kein Achtundsechziger war, aneinander vorbei. Jeder hatte seine vorgefertigte Meinung mitgebracht. Auch deswegen scheiterte Gauland mit seinen Provokationen, obwohl er von "Verzicht ist Verrat" bis zu "urdeutsches Land" keine Formulierung ausließ, die früher Proteststürme ausgelöst hätte.

Foto: Antje Vollmer und Alexander Gauland: Provokationen gingen ins Leere

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