© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Hüftschüsse in die Nebelbank
Die Globalisierungskritik des freiheitlichen Politikers Wolfgang Caspart geht wegen unklarer Begriffsklärung ins Leere
Georg Dinter

Mit seiner Meinung hält der Psychologe, Philosoph und Betriebswirt Wolfgang Caspart in seinem neuen Buch über das "Gift des Neoliberalismus" wahrlich nicht hinter dem Berg. Schon auf dem Schutzumschlag seines neuen Buches steht zu lesen, daß der Neoliberalismus "die Nationen nicht in den Wohlstand" führe, "sondern ins Elend". Er lasse "Völker in Abhängigkeit, Erniedrigung, Entwurzelung und Elend" versinken. Von all dem profitiere nur die "betrügerische Pseudoelite" eines "verlogenen und unersättlichen Gangsterkapitalismus".

Bei Caspart handelt es sich, dies sei an dieser Stelle ausdrücklich festgestellt, keineswegs um einen Exponenten der linkslastigen globalisierungskritischen Organisation Attac, sondern unter anderem um den Vorsitzenden des Freiheitlichen Akademikerverbandes Salzburg. Dies ist deshalb erstaunlich, weil bis dato den österreichischen "Freiheitlichen" immer wieder einmal unterstellt wurde, "neoliberale" Positionen zu vertreten. Diese Feststellung führt bereits zu dem ersten massiven Problem, das das Buch aufwirft, nämlich zu der Frage, was der Autor unter dem von der Linken zur Kampfparole umgebogenen Begriff "Neoliberalismus" überhaupt versteht. Im Inhaltsverzeichnis findet sich hierzu kein eigenes Kapitel, was für ein Buch, das diesen Begriff bereits im Titel trägt, einigermaßen irritierend ist. Der Leser muß sich also zusammensuchen, was genau der Autor hier meint oder meinen könnte. Fündig wird er unter anderem erst auf Seite 18: "Eine freiheitlich-kapitalistische Einstellung heißt in Europa 'neoliberal' und in den USA 'konservativ' oder 'neokonservativ'." Wem diese nicht weiter belegte, fragwürdige Behauptung zu nebulös ist, dem bleibt noch das umfangreiche Glossar. Hier wird der "Neoliberalismus" schlicht als "Entartungsform des Liberalismus" vorgestellt. Dieser schlagwortartigen Auskunft kann man sich entweder anschließen oder auch nicht. Festzuhalten bleibt: Der Autor hat auf eine begriffsgeschichtliche Aufhellung verzichtet, so daß der Gegenstand seiner Untersuchung mehr oder weniger unscharf bleiben muß.

Gehen wir also davon aus, daß der Autor dasjenige meint, was heute "gemeinhin" darunter verstanden wird. Hier freilich verliert man schnell den Überblick. Wie weit das Feld reicht, hat, um ein Beispiel zu nennen, der marxistisch inspirierte "Neoliberalismuskritiker" Bernhard Walpen wie folgt auf den Punkt gebracht: "Es gibt nicht den Neoliberalismus, sondern Neoliberalismen, die vom Laissez-faire-Ansatz (...) bis zu weitreichenden staatsinterventionistischen Ansätzen reichen."

Der Kern dessen, was heute unter "Neoliberalismus" firmiert und an dieser Stelle nur sehr pauschal beschrieben werden kann, besteht doch wohl, wie Caspart leider viel zu kurz mit Blick auf die "Chicagoer Schule" feststellt, in dem Glauben an eine grundsätzliche Überlegenheit des Marktes, verbunden mit einer entsprechenden Geldpolitik (Monetarismus). Staatliche Eingriffe werden als nicht statthafte Manipulationen des Marktes verurteilt. Damit in Zusammenhang steht die Forderung nach Deregulierung, um den Markt von staatlichen Einflüssen zu befreien. Der Scheitelpunkt dieser Strömung, die im übrigen besser als "angebotsorientierte Wirtschaftsform" bezeichnet werden sollte, scheint aber zumindest im Westen seit geraumer Zeit überschritten zu sein.

Der Nebel, in dem Caspart den Begriff Neoliberalismus beläßt, eröffnet ihm freilich die Möglichkeit, alles mit allem in Verbindung zu bringen: Als Schlagworte seien hier nur die von Caspart behaupteten Entartungsformen der Demokratie (Klientelsystem, "ochlokratische" oder "erziehungsdiktatorische" Tendenzen), der "Turbokapitalismus", die "Herrschaft des Großkapitals", der US-Kulturimperialismus, die Neue Weltordnung oder der Weltpolizist USA genannt. Am Ende steht dann die gewünschte Diagnose: "Das ganze neoliberale System ist krank" bzw. "Dieser Neoliberalismus entspricht der Kultur des Todes, (...) ist der große Betrug unseres Zeitalters, (...) hindert das Heil und ist das Gegenteil von Kultur."

Leider bleibt der Autor auch die Antwort auf die Frage schuldig, was denn nun angesichts des von ihm behaupteten Befundes getan werden müßte. Es bleibt der lapidare Hinweis, daß die Menschheit "noch einen harten Weg zurücklegen" müsse, bis das jetzige "System des Neoliberalismus" überwunden sei.

Diese Auskunft ist so unbefriedigend wie vieles andere auch, das im Buch angerissen wird oder über fragwürdige Urteile nicht hinauskommt. Es mangelt überdies an einem "roten Faden", der die vielen, manchmal enervierenden Exkurse (oft auch philosophischer Natur) zusammenhält. Überdies findet sich keinerlei statistisches Material, das die problematischen Thesen Casparts irgendwie stützen könnte. So bleibt diese Arbeit ein reines Meinungsbuch, was deshalb schade ist, weil es bisher zu wenig allgemeinverständliche Arbeiten, die auf Polemik zugunsten von Information verzichten, zum schillernden Begriff Neoliberalismus gibt.

Wolfgang Caspart: Das Gift des Globalen Neoliberalismus. Mit Turbokapitalismus in die Krise. Signum Verlag, Wien 2008, gebunden, 232 Seiten, 19,90 Euro

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