© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Immer Ärger mit der Technik
Filmpionier und Medienhandwerker: Karl Valentin in einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau
Ekkehard Schultz

Unverwechselbarkeit und ein hoher Wiedererkennungswert sichern dem Münchner Kabarettisten Karl Valentin auch sechs Jahrzehnte nach seinem Tod noch ein breites Publikum, wie die guten Verkaufszahlen der Valentin-Werke auf DVD und CD eindrucksvoll belegen. Aber erst durch die Verbindung aus hintergründigem Sprach- und Wortwitz sowie Valentins unnachahmlichem Spiel mit seiner eigenen Physiognomie wird der faszinierende Valentin-Effekt geschaffen - insbesondere im Zusammenspiel mit  seinem "Gegenpol", der langjährigen Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt.   

Über mehrere Jahrzehnte - bis in die achtziger Jahre hinein - wurde Valentin in Publikationen und Ausstellungen in erster Linie als lokales Phänomen, eben als "bayerisches Original" gewürdigt. Zwar ist ein großer Teil seines Schaffens zweifelsfrei in einer sehr engen Art und Weise mit seiner Heimatstadt München verknüpft. Doch Valentins spezifische Art der Darbietungen fand nicht nur innerhalb des gesamten deutschen Sprachraums Beachtung, sondern auch im Ausland. So hatte etwa sein gezielter Einsatz von Medien eine Vorbildfunktion für andere Künstler seiner Zeit.

Zu einer solchen Veränderung des Valentin-Bildes hat in den letzten Jahren insbesondere die Öffnung der Sammlung Wahn in Köln beigetragen. Der Kölner Carl Niessen hatte 1953 den größten Teil des persönlichen Nachlasses von Valentin erworben, nachdem die Stadt München nach seinem Tod im Jahr 1948 wenig Interesse an diesem Erbe gezeigt hatte.

Heute ist diese Hinterlassenschaft Teil der Theaterwissenschaftlichen Sammlung im Schloß Köln-Wahn. Bereits die Düsseldorfer Valentin-Ausstellung von 2004 stützte sich primär auf dieses umfangreiche Material. Nach einer Zwischenstation im Frankfurter Filmmuseum (2007) kann sie nun in leicht veränderter Form im Berliner Martin-Gropius-Bau unter dem Titel "Karl Valentin. Filmpionier und Medienhandwerker" besichtigt werden.   

Valentin, am 4. Juni 1882 in München als Valentin Ludwig Fey geboren, begann seine künstlerische Laufbahn als Volks- und Moritatensänger. Die inhaltlichen Vorlagen entnahm er in erster Linie dem "Münchner Bilderbogen" sowie den illustrierten Geschichten von Wilhelm Busch, deren Handlungen er radikalisierte. 

Der früheste heute noch erhaltene Entwurf eines Bühnenstücks von Valentin stammt aus dem Jahr 1902 und trägt den Titel "Telephon-Schmerzen". Er ist ein Beleg dafür, wie früh sich Valentin mit den technischen Entwicklungen seiner Zeit auseinandersetzte, die ihn zeitlebens faszinierten. Die unzureichend entwickelte Technik sowie das permanente Streben nach Perfektion liefern breiten Raum für Mißverständnisse, welche am Ende stets in Katastrophen münden.

Aller Anfang ist schwer, und so war auch die erste Tournee, die Valentin als "Charles Fey" mit einem selbstgebauten Orchestrion im Jahr 1907 durch Deutschland antrat, ein großer Mißerfolg - insbesondere in finanzieller Hinsicht. Doch bereits im Jahr danach konnte er - nun unter dem Künstlernamen Karl Valentin - mit dem Solovortrag "Das Aquarium" ein größeres Publikum begeistern. Dieser Erfolg verhalf ihm zu einem ersten Engagement im Frankfurter Hof in München.      

Bereits zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn setzte Valentin seine eigene Physiognomie als groteskes Element gezielt ein. Seine lange, spindeldünne Statur betonte er zusätzlich durch eng anliegende Kleidung, mit Hilfe der Verdrehung der Beine, der künstlichen Verlängerung der Nase sowie Grimassen. Den unmittelbaren Anstoß dazu hatte ein Porträt Valentins des Gastwirtes Ludwig Greiner geliefert, der Valentin als lebendes Skelett dargestellt hatte. Seine häufige Rolle als "armer magerer Mann" war ihm damit also buchstäblich auf den Leib geschrieben. 

Neben dem Körper war es der exzessive Einsatz der größtenteils von Valentin, Ludwig Greiner und seinem Bühnenmeister Joseph Rankl selbst hergestellten Bühnenrequisiten, der das Publikum in den Bann zog. Zu den bekanntesten Objekten zählen unter anderem eine Wasserrutschbahn, die auf dem Münchner Oktoberfest von 1921 für Erheiterung sorgte, oder das Raketenflugzeug in "Der Flug zum Mond" (1928).   

Eine besondere Rolle spielten bei Valentins Auftritten zudem Lichtbildreklamen, die seit 1915 regelmäßig eingesetzt wurden. So flimmerte zwischen seinen Bühnenauftritten auf: "Obacht! Während der nun folgenden 15 Minuten dauernden Lichtbildervorführung darf heut Abend drei Tage lang nicht geraucht werden." Oft persiflierte er später auch Werbesprüche, indem er etwa ein Reinigungsmittel als Würze für Suppen und Soßen empfahl.

1911 begegnete Valentin erstmals seiner langjährigen Bühnenpartnerin Liesl Karlstadt (bürgerlicher Name Elisabeth Wellano). 1915 traten beide zum ersten Mal gemeinsam im Kabarett auf, wo Karlstadt das "Chinesische Couplet" sang. Der Durchbruch gelang Karlstadt um 1918 mit der Figur des herrischen, dicken Kapellmeisters. Die enge Zusammenarbeit mit Valentin dauerte - mit wenigen Unterbrechungen - kontinuierlich bis zum Ende der dreißiger Jahre an.

Neben der Bühne hatte für Valentin das Medium Film große Bedeutung. 1912 entstand als erstes Produkt seiner eigenen Filmgesellschaft die Groteske  "Valentins Hochzeit", in der erneut das Spiel mit dem eigenen Körper im Mittelpunkt steht. Am Ende wird der dürre Dandy Valentin von seiner voluminösen Braut erdrückt.

Bis Ende der dreißiger Jahre wurden über zwanzig weitere Filme gedreht, in denen Valentin eine Haupt- bzw. Nebenrolle spielte. Die meisten davon waren Kurzfilme, die im Vorspann des Kinoprogramms liefen.

Einer der bemerkenswertesten langen Spielfilme ist "Der Sonderling" von 1929. Valentin spielt darin einen Schneidergesellen, der wegen der Depression seine Arbeit verloren hat und Ablenkung in seinem einzigen Steckenpferd, dem Briefmarkensammeln, sucht. Unfreiwillig wird er der Geliebte der Frau eines Meisters, die ihm einen teuren Briefmarkenwunsch erfüllt. Doch Valentin gerät durch unglückliche Umstände in den Verdacht, die Marke gestohlen zu haben, und unternimmt aus Verzweiflung mehrere Selbstmordversuche.

Nachdem der Film lange Zeit ein großer Erfolg war, wurde er am 9. April 1942 von der NS-Zensur wegen "Verletzung des künstlerischen Empfindens" verboten. Der Inhalt sei "ein solcher Unsinn, daß von einer Handlung überhaupt nicht mehr gesprochen werden" könne.          

Auch die Bedeutung des Mediums Schallplatte wurde von Valentin früh erkannt. Bereits um 1910 imitiert Valentin im Unterhaltungsprogramm des Mandolinenclubs "Bouno Fortuna" ein Grammophon. Seit 1928 entstehen zahlreiche Aufnahmen von Monologen und Couplets Valentins und Karlstadts. Zu den am meisten verkauften und erfolgreichsten Platten zählt diejenige mit dem Telefonsketch von "Buchbinder Wanninger" (1940).

Nicht erfolgreich sind dagegen mehrere Filme mit Valentin, die der Regisseur Erich Engels ab Mitte der dreißiger Jahre dreht. Hier kommt nicht mehr der typische Valentin zur Geltung, der in allen Variationen mit seinem Körper spielt. Die Beschränkung auf den Wortwitz ist nicht Valentins Fall, zumal er auf der Bühne stets improvisiert und keine längeren Texte auswendig lernt. Da seine eigenen Tonfilmexposés nicht mehr verfilmt werden, tritt Valentin im April 1940 aus der Reichsfachschaft Film aus.

Als unzeitgemäße Person nicht mehr gefragt, entwickelte Valentin im Krieg jedoch weiterhin zahlreiche Filmexposés. Zu einer Umsetzung dieser Vorschläge sollte es jedoch auch nach Ende des Krieges nicht mehr kommen: Am Rosenmontag, dem 9. Februar 1948 stirbt Valentin halbverhungert in seinem Haus in Planegg.

Die Ausstellung ist bis zum 21. April im Berliner Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, zu sehen. Tel.: 030 / 254 86-0

Der Katalog mit 160 Seiten und mehr als 200 Abbildungen kostet 19,90 Euro.

Foto: Liesl Karlstadt und Karl Valentin in "Kirschen in Nachbars Garten" (1935): Sprach- und Wortwitz

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