© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Gedenktag
Karl Heinzen

Als vor 25 Jahren des hundertsten Todestages von Karl Marx gedacht wurde, konnte man es sich leisten, dabei eine großzügige Gelassenheit an den Tag zu legen. Seine einst doch so geschichtsmächtige Lehre durfte als überwunden gelten. Das Lager des 1983 noch real existierenden Sozialismus präsentierte zwar auf protzigen Paraden unverändert sein Konterfei neben jenen der anderen Götzen Engels und Lenin, doch mehrten sich die unmißverständlichen Signale, daß der Glaube erloschen war. Moskaus Vertrauen darauf, daß der kapitalistische Westen jenen Weg nehmen würde, den ihm der wissenschaftliche Sozialismus vorgezeichnet hatte, war erschüttert. Ohne eine Schwächung des Antipoden von innen heraus mußte der Sieg im Weltbürgerkrieg jedoch unrealistisch erscheinen. Eine neue Generation von ideologisch unbelasteten Technokraten begann sachlich zu untersuchen, welche Zukunft dem Sozialismus unter diesen Bedingungen beschieden sein könnte. Das Ergebnis ihrer Prüfung war die Kapitulation des sowjetischen Imperiums.

Es hatte sich also als weise herausgestellt, daß im Westen angesichts einer bedrohlichen System­alternative Wert darauf gelegt worden war, die Marktkräfte durch Interventionen des Staates daran zu hindern, jene ihnen eigentlich innewohnende Dynamik zu entfalten, die zu den von Marx prophezeiten Resultaten führen würde. In der alten Bundesrepublik nannte man dieses Bemühen "Soziale Marktwirtschaft".

Natürlich war die eigennützige Absicht, die dahinter stand, durchschaubar, doch verfügten über das Wissen allein Intellektuelle, die keinen Zugang zu den Massen fanden. Im "roten Jahrzehnt" hatten so zwar Zehntausende angehende Akademiker Kapitalstudien betrieben und sich an Ableitungen für die Gegenwart verschlissen. 1983 war jedoch auch ihnen der Hauptwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit längst lästig geworden, und sie verströmten sich statt dessen in radikaldemokratischen, ökologischen und feministischen Phantasien.

Heute, da der 125. Todestag von Karl Marx begangen wird, entsteht zwar der Eindruck, als könnten seine Werke mehr denn je zum Verständnis des nunmehr endlich global etablierten Kapitalismus beitragen. Die Befürchtung einer Renaissance des Marxismus ist gleichwohl unbegründet. Die Übermacht der Verhältnisse ist zu groß, als daß die Hoffnung keimen könnte, durch ihre theoretische Durchdringung noch etwas zu bewegen. Die Linke vermag zwar Strohfeuer zu entfachen. Ihre einstige Stärke ist jedoch unwiederholbar, da sie auf Optimismus gründete.

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