© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Amerikanische Zukunftsängste
USA: Die Präsidentschaftsbewerber besinnen sich auf die glorreiche Vergangenheit / Für viele ist Barack Obama der Hoffnungsträger
Patrick J. Buchanan

Als John F. Kennedy 1960 für die Präsidentschaft kandidierte, sprach er in seinen Wahlkampfreden von einer neuen Generation Amerikaner, die nun ans Ruder komme, von der "New Frontier", die es anzusteuern gelte. Er beschwor nicht die Geister großer Amtsvorgänger wie Franklin Delano Roosevelt oder Harry Truman herauf. Schon gar nicht ging er 45 Jahre in die Vergangenheit, nämlich bis zu Woodrow Wilson zurück.

Zwanzig Jahre später machte Ronald Reagan es genauso. Statt einer Rückbesinnung auf die Hochzeiten der Eisenhower-Jahre schenkte er den Bürgern die Vision einer großartigen Zukunft, in der Amerika nach dem Elend der Carter-Ära wieder zu jener "shining city on a hill" werden sollte, die sich die Pioniere einst vorstellten. Trotz aller Macken und Fehler waren beide Männer Staatsoberhäupter voller Charisma und Inspiration, die zuversichtlich den heroischen Schlachten entgegensahen, die es zu gewinnen galt, und den großen Aufgaben, die auf sie warteten. Heute hingegen verspüren die Präsidentschaftsanwärter beider Parteien offensichtlich ein Verlangen, sich mit den legendären Gestalten und den Heldentaten längst vergangener Zeiten zu identifizieren.

Bei den Demokraten sind dies die Brüder John und Robert Kennedy. Bei den Republikanern ist es Reagan, worüber die Bushs ein wenig pikiert sein dürften - schließlich haben Vater und Sohn zusammen insgesamt vier Jahre länger im Weißen Haus verbracht als der ehemalige Schauspieler, dessen Abschied aus dem Amt mittlerweile zwanzig Jahre zurückliegt.

Für George Herbert Walker Bush muß es besonders ärgerlich sein. Immerhin ereignete sich unter seiner Präsidentschaft Epochales: der Fall der Berliner Mauer, die deutsche Wiedervereinigung, der Untergang der Sowjetunion, der erste Golfkrieg und die Befreiung Kuwaits. Auch Bill Clinton dürfte geschluckt haben, als Barack Obama die Republikaner als diejenige Partei nannte, von der in den 1990er Jahren Ideen und Initiative ausgingen, und Reagan als Erneuerer. Tatsächlich sagt es einiges über die Demokraten von heute, daß sie vierzig Jahre zurück- und drei Präsidenten (Clinton, Jimmy Carter und Lyndon B. Johnson, insgesamt siebzehn Jahre demokratischer Amtsführung) übergehen müssen, um Helden wie die Kennedys oder Martin Luther King zu verehren. Diese Beschwörung der Geister der Vergangenheit zeugt anscheinend von einem Gefühl der Unzulänglichkeit bei den heutigen Kandidaten, einem Bedürfnis, wieder Anschluß an die Parteibasis zu finden, sich in eine altehrwürdige Tradition zu stellen, statt ein eigenes Profil auszubilden. Zudem drückt sich darin die Überzeugung aus, daß die Jahre seit Reagan keine großen Zeiten für Amerika waren.

Seit unserem Sieg im Kalten Krieg scheinen unsere heroischen Zeiten vorbei. In Panama und Haiti einzumarschieren, Serbien zu bombardieren und Saddam Hussein zweimal vernichtend zu besiegen, ist längst nicht dasselbe wie dem Reich des Bösen Paroli zu bieten oder in der Kuba-Krise die Oberhand zu behalten.

Und was den Krieg gegen den "Islamo-Faschismus" angeht, so verblaßt er neben dem Krieg gegen die echten Faschisten des 20. Jahrhunderts: das japanische Kaiserreich und Hitlers Drittes Reich, das innerhalb von zwei Jahren Europa vom Atlantik bis zum Ural eroberte. Ein iranischer Präsident Mahmud Ahmadi-Nedschad, der den Amerikaner David Duke zu seiner Holocaust-Konferenz nach Teheran einlädt, spielt nicht ganz in derselben Liga.

Aus demokratischer Sicht muß sich das Problem noch schmerzlicher stellen. Ihr großer Held John F. Kennedy ist schließlich seit über 44 Jahren tot. Kein Amerikaner unter fünfzig kann sich an seine Präsidentschaft erinnern. Seine Tochter mag heute eine reizende Frau sein -  aber wie viele junge Menschen können überhaupt etwas mit dem Namen Caroline Kennedy Schlossberg anfangen? Und über den großen Mann selber wissen sie nur, was sie in der Schule durchgenommen haben: seine Ermordung an jenem furchtbaren Tag in Dallas und die Kuba-Krise.

Daneben gab es das Debakel in der Schweinebucht, das Raumfahrtprogramm und seine glamouröse Ehefrau Jackie. Häufig werden die Filmausschnitte von seiner Rede vom Balkon des Schöneberger Rathauses und seinem Bekenntnis: "Ich bin ein Berliner" gezeigt, doch nur wenige Kommentatoren erwähnen, daß die Mauer gebaut wurde, als er schon im Amt war, und er nichts dagegen unternahm. Und was kam nach JFK? Johnson, das Great Society-Sozialreformprogramm, Vietnam, Richard Nixon und den Konflikt mit China, Watergate, das Zwischenspiel mit Gerald Ford und Jimmy Carter, die Reagan-Ära und zuletzt zwei Jahrzehnte Bush/Clinton/Bush.

Als einziger unter den diesjährigen Bewerbern scheint Barack Obama Anstalten zu machen, ein Staatsoberhaupt vom Rang eines JFK oder Reagan werden zu wollen. Sein Problem ist, daß er weder ein großes Thema wie den Kalten Krieg oder die Bürgerrechtsrevolution noch einen großen Gegner hat, an dem er sich messen könnte. Gesundheitsvorsorge für alle mag ein wichtiges sein - aber auch ein todlangweiliges, wie die Fernsehdebatte zwischen den demokratischen Bewerbern im Januar bewies. Außerdem hat Johnson mit seinen Programmen zur staatlichen Gesundheits- und Rentenvorsorge sowie zur Förderung bürgerrechtlicher Belange die eigentliche Schwerarbeit vor vierzig Jahren geleistet. Das Problem der Demokraten besteht darin, daß sie als Partei für einen starken Staatsapparat stehen, an den seit dem Hurrikan Katrina allenfalls noch das Militär glaubt.

John McCain, der sich nun in der Rolle eines "Fußsoldaten bei der Reagan-Revolution" gefällt, wirft sich als neuer Churchill in Pose, der "niemals kapitulieren", sondern uns im Krieg gegen den Islamo-Faschismus zum Sieg führen wird. Dabei ist das amerikanische Volk längst der Meinung, daß der Irak-Krieg ein Fehler war. Daraus suchen sie einen Ausweg, der weder eine Niederlage noch ein blutiges Debakel bedeutet.

Vielleicht besinnen sich die Kandidaten so stark auf die Vergangenheit, weil sie wissen, daß die Amerikaner mit der Gegenwart unglücklich sind und sich - von Obamas Anhängern einmal abgesehen -  von keiner der beiden Parteien eine großartige Zukunft versprechen.

 

Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift "The American Conservative".

Foto: Vorwahlkämpfer Obama: Eine Art JFK der 21. Jahrhunderts?

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen