© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Chiffren der Hoffnungslosigkeit
Kenia: Die anhaltende Krise offenbart die Naivität europäischer Afrika-Politik / Künstliche Kolonialgrenzen
Martin Schmidt

Während sich der demokratische Präsidentschaftsbewerber Barack Obama, Sohn eines Schwarzen aus Kenia und einer Weißen aus Kansas, zum ernstzunehmenden US-Präsidentschaftskandidaten mauserte, steckt der "Schwarze Kontinent" in einer tiefen Krise. In den letzten Monaten kamen die Negativnachrichten vor allem aus dem zentralafrikanischen Tschad und aus dem Osten Afrikas: aus "Obamas Kenia", der regelmäßig besuchten Heimat seiner väterlichen Vorfahren.

Dort kam es am 28. Februar auf Vermittlung von Ex-UN-Generalsekretär Kofi Annan und dem tansanischen Vorsitzenden der Afrikanischen Union (AU), Jakaya Kikwete, endlich zu einer Einigung in Form einer Machtteilung: Die Opposition erkennt den alten Staatspräsidenten Mwai Kibaki auch als neuen an und darf im Gegenzug den Ministerpräsidenten stellen. Grundvoraussetzung ist eine Verfassungsänderung, an der zur Zeit gearbeitet wird.

Westliche Politiker reagierten erleichtert. US-Außenministerin Condoleezza Rice verstieg sich zu der angesichts der Gemetzel der vorangegangenen zwei Monate zynischen Bemerkung, Kibaki und Odinga hätten "Mut und Führungskraft bewiesen". Der Sicherheitsrat der AU in Addis Abeba reagierte angemessener, wenn er die rivalisierenden kenianischen Parteien ermahnte, sich mit den tieferliegenden Ursachen des Konflikts zu befassen. Und diese, so ließe sich hinzufügen, geben kaum Anlaß zur Entwarnung. Schließlich erschien Kenia westlichen Beobachtern noch bis zu den Präsidentschaftswahlen am 27. Dezember als vergleichsweise stabil.

Immerhin verzeichnete es in den letzten Jahren einen stetigen Wirtschaftsaufschwung und bot Hunderttausenden Bürgerkriegsopfern aus dem Sudan und Somalia Zuflucht. Die Brutalität der jüngsten Kämpfe spricht jedoch dafür, daß der Eindruck von Stabilität damals nur ein oberflächlicher war, daß die Stammeskonflikte auch in Kenia stets existierten und nur der Anlaß für die offene Auseinandersetzung fehlte. Ohnehin scheint die gesamte deutsche und mit ihr die europäische Öffentlichkeit hinsichtlich Afrikas sehr schlecht informiert zu werden. Die veröffentlichte Meinung wird von Wunschdenken und ideologischen Scheuklappen geprägt.

So ist dem alten wie neuen Staatspräsidenten Mwai Kibaki zwar ein - für Afrika typisches - durch und durch korruptes Regime vorzuwerfen (der von Kibaki nach seiner ersten Amtsübernahme benannte Korruptionsbeauftragte kapitulierte angesichts der hemmungslosen Bereicherungspraxis der Regierung und mußte in Lebensgefahr nach London fliehen). Doch auch die "Alternative" Rail Odinga, ein Vetter Barack Obamas und künftiger Ministerpräsident, ist als Teil des alten kenianischen Establishment keineswegs vertrauenerweckend. Der 62jährige ist reich, machthungrig und rhetorisch begabt. Vor allem ist Odinga jedoch der Sprecher bestimmter Stammesclans, die nun endlich auch an die "Fleischtöpfe" möchten. Daß insbesondere viele seiner Luo-Stammesbrüder bereit sind, diesen Weg bis zur letzten Konsequenz des ethnisch motivierten Bürgerkrieges zu gehen, haben die Ereignisse seit der umstrittenen Wahl gezeigt, die zahllose Kikuyu das Leben kosteten. Insgesamt soll es rund 1500 Todesopfer gegeben haben.

Schon Daniel arap Moi, der 1978 dem verstorbenen ersten kenianischen Präsidenten Jomo Kenyatta nachfolgte, stand in den achtziger und neunziger Jahren wegen ethnischer Säuberungen in der Kritik. Mehr als 40 Ethnien gibt es in dem landschaftlich reizvollen Land zwischen dem Viktoriasee im Westen und dem Indischen Ozean im Osten. Viele von ihnen sprechen eigene Sprachen. Die international wohl am bekanntesten Massai stellen übrigens nur 1,6 Prozent.

Wie das "Touristenparadies" Kenia leidet ganz Schwarzafrika unter archaischen Verhaltensmustern, den Widersprüchen der althergebrachten Stammesstrukturen mit den künstlichen Kolonialgrenzen, dem Fehlen einer Mittelschicht sowie einer westlichen Entwicklungshilfe, die - von Ausnahmen abgesehen - die ungehemmte Bereicherungsmentalität kleiner Clans nährt, Abhängigkeiten verfestigt und die Suche nach eigenen Antworten auf die wachsende Verelendung behindert. Einer Studie der britischen Hilfsorganisation Oxfam von 2007 zufolge haben die afrikanischen Länder zwischen 1990 und 2005 rund 284 Milliarden US-Dollar für Kriege ausgegeben - ebenso viel, wie der Kontinent in dieser Zeit an Entwicklungshilfe erhalten hat.

Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen steht der naturräumlich keineswegs benachteiligte Schwarze Kontinent (Afrika verfügt über 88 Prozent aller globalen Platinreserven, 73 Prozent aller Diamanten, 60 Prozent allen Kobalts und Mangans und 40 Prozent allen Goldes) heute ökonomisch deutlich schlechter da als zu Beginn der Entkolonialisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Während in den sechziger Jahren beispielsweise das goldreiche Ghana materiell weitaus mehr zu bieten hatte als Südkorea, ist diese asiatische Volkswirtschaft inzwischen vierzigmal leistungsfähiger als die des westafrikanischen Landes.

Die von den weißen Fremdherrschern übernommene Infrastruktur verfällt zusehends und wird nur höchst selten ersetzt (und auch dann oft nur mit ausländischer Hilfe). Stetige Zuwächse gibt es lediglich bei der Demographie - heute sind über 50 Prozent aller Afrikaner jünger als 14 Jahre - und bei den Ausgaben fürs Militär. Immer wieder fordern brutale ethnische Kriege Hunderttausende an Opfern. Der Sudan, Ruanda, Somalia, der Kongo, Liberia oder Sierra Leone sind zu Chiffren der Hoffnungslosigkeit geworden. Die häufig zu hörenden Rechtfertigungen, daß das Erbe des Kolonialismus an allem schuld sei, ist längst "zu einer bequemen Ausrede für das eigene Versagen geworden", stand treffend im Tagesspiegel.

Kenia ist weitaus mehr als ein Beispiel für Demokratiemangel, sondern ein Menetekel für die vielen hinsichtlich Afrikas naiv, ja verantwortungslos handelnden europäischen Politiker. Der aus Uganda stammende Ökonom Andrew Mwenda forderte in der Süddeutschen Zeitung in bezug auf die westliche Entwicklungshilfe kategorisch: "Ignoriert Afrika. Alle Hilfe verschleiert nur die Inkompetenz unserer Despoten." Auch wenn man diesem Ratschlag mit Blick auf weitere drohende Flüchtlingsströme und die nötige Sicherung wichtiger Rohstoffquellen nur bedingt Folge leisten kann, so gibt er doch zu denken. Zumindest sollte er zusammen mit den jüngsten blutigen Bildern dazu führen, die tiefgreifenden Strukturprobleme Afrikas endlich ungeschönt darzustellen und in ihrer Tragweite zu begreifen.

Foto: Jugendliche bei gewalttätigen Unruhen in Kenia: Gefahr eines ethnisch motivierten Bürgerkrieges

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