© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Nebelkerzen im Umkreis verschwundener SED-Gelder
Ungarn: Schallende Ohrfeige für Gebührenpläne der wirtschaftsliberalen Regierung / Polizei ermittelt im dubiosen Finanzdschungel
Karl Franke

Am 9. März konnten die Ungarn in einem Referendum darüber abstimmen, ob die von der sozialistisch-linksliberalen Regierung eingeführten Arztpraxis-, Krankenhaus- und Studiengebühren wieder gestrichen werden sollen oder nicht. Mit jeweils einer überwältigenden Mehrheit von über 82 Prozent (bei über 50 Prozent Wahlbeteiligung) wurden alle drei Fragen mit "Ja" beantwortet. Zum 1. April werden die Gebühren nun abgeschafft.

Die konservative Fidesz-Opposition sprach von einem Denkzettel für die Regierung - doch die erhofften Neuwahlen wird es nicht geben, denn Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány erklärte bereits im Vorfeld der Abstimmung, er werde nicht gehen, egal wie das Ergebnis aussehen werde. Noch am Wahlabend sagte der gewendete Postkommunist, die Menschen hätten nicht verstanden, daß man staatliche Dienstleistungen bezahlen müsse; nun werde die Allgemeinheit in Form von erhöhten Steuern zur Kasse gebeten. Der Chef des linksliberalen SZDS, János Kóka, deklarierte die Niederlage gar zum Sieg: Man habe mit viel weniger Gebührenanhängern gerechnet, daher seien die 600.000 "Nein"-Stimmen ein großer Erfolg. Fidesz-Chef Viktor Orbán kündigte am Montag für den Herbst eine weitere Volksabstimmung an, diesmal gegen die Teilprivatisierung der ungarischen Krankenkassen.

Der erhitzte Sozialwahlkampf der letzten Wochen überdeckte einen Fall im Dunstkreis der Eisenbahnprivatisierung, der bis nach Wien und Berlin reicht. Im Zentrum der polizeilichen Ermittlungen steht András (Andreas) Gulya, ungarischer Emigrant und CDU-Mitglied. Wie ungarische Medien berichteten, beauftragte die österreichische Bahn (ÖBB) die mit einem Stammkapital von rund 130 Euro ausgestattete Geuronet Bt. mit der Lobbyarbeit zum Kauf der ungarischen MÁV Cargo.

Die Kleinstfirma wird offiziell von Gulyas Mutter Viktoria geleitet und hat ihren Sitz in einer Privatwohnung in Budapest, wo auch Gulya gemeldet ist. Von österreichischer Seite hieß es, Geuronet habe ihre Arbeit erledigt, daher sei die Provision in Höhe von 1,75 Prozent des Kaufpreises (also rund acht Millionen Euro) rechtens. Gulya selbst ist inzwischen abgetaucht und reagiert auf keinerlei Anfragen. Bisherige Recherchen haben ergeben, daß Gulya nach seinem Studium in Göttingen seine ungarische Karriere im Finanzsektor als Direktor der ABN Amro Bank begann.

Nach dem Wahlsieg der Bürgerlichen 1998 wurde er kurzzeitig Vizedirektor der ungarischen Postabank Rt. Im Jahre 2000 wird er bereits als Berater des Finanzministeriums genannt. Angeblich soll er auch als ministerieller Sonderbeauftragter für die Nachforschung nach den verschwundenen SED-Millionen gearbeitet haben. Welche Ergebnisse er hierbei erzielte, mit welchen Stellen er in Deutschland kooperierte, darüber gibt es keine weiteren Angaben. Im Zusammenhang mit den SED-Millionen soll Gulya auch Kontakt zu dem Eigentümer der deutschsprachigen Budapester Zeitung (BZ), Jan Mainka, gehabt haben; das Medienunternehmen wurde 1999 gegründet. Mainka, der vor der Wende als DDR-Bürger in Budapest studierte, ist familiär mit der russischen Geschäftswelt verbunden. Seine Zeitungen, die inzwischen den fremdsprachigen Markt in Ungarn beherrschen, gelten als Sprachrohr der Regierung Gyurcsány. Mehrfach schrieb Gulya Beiträge für die BZ.

Fest steht, daß Gulyas Karriere auch nach der Abwahl der Bürgerlichen 2002 ungebrochen weiterging; 2002 wird er von der neuen sozial-liberalen Regierung ins Kuratorium der deutschsprachigen Andrassy-Universität Budapest gewählt. Zwischen 2004 und 2007 ist Gulya Mitglied des Aufsichtsrats der "Perfekt Gazdasági Tanácsadó, Oktató és Kiadó Zrt.", einer PR-Agentur, die bis 2002 zum Firmenimperium von Gyurcsány gehörte. Gulya soll auch Miteigentümer des Finanzdienstleisters Pirmatus Zrt. sein, der ebenfalls personell mit sozialistischen Kreisen verquickt ist.

Als CDU-Mitglied habe Gulya der ungarischen Schwesterpartei MDF Kontakte nach Deutschland angeboten, erklärte unlängst Parteichefin Ibolya Dávid; Gulya habe ihr vor Jahren eine Reise nach Deutschland organisiert und bei Gesprächen mit CDUlern persönlich gedolmetscht. Wann das war, daran könne sie sich aber nicht erinnern.

Angesichts der politischen Gemengenlage, in der sich Gulya allem Anschein nach bewegt, kann man davon ausgehen, daß die polizeilichen Ermittlungen nichts Neues zutage bringen werden. Und auch der Verbleib der SED-Millionen bleibt weiterhin ungelöst.

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