© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/08 14. März 2008

Eine Krankheit namens Islamophobie
Integration: Der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer läßt sich bei einem Besuch im Berliner Problemstadtteil Neukölln von der Realität nicht beirren
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Berliner Bezirk Neukölln und der Bielefelder Soziologieprofessor Wilhelm Heitmeyer haben eins gemeinsam: Beide können stellvertretend für vieles gedeutet werden. Auf der einen Seite ein Stadtteil, der wie kaum ein zweiter im öffentlichen Bewußtsein als Konzentrations- und Kulminationspunkt sozialer Mißstände wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite ein international renommierter Konfliktforscher, der wie kaum ein zweiter öffentlich aufgetreten ist und "unbequeme", "mutige", aber für eine gewisse Klientel durchaus nützliche Thesen über eine angebliche Fremdenfeindlichkeit der deutschen Gesellschaft verbreitete. So war es nicht ohne Reiz, als die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung am vergangenen Freitag zum Gesprächsabend "Neukölln knallhart? Strategien gegen Gewalt im Stadtquartier" in die Neuköllner Rollbergsiedlung lud.

Heitmeyer ist vor allem bekannt für die auf zehn Jahre angelegte Langzeituntersuchung "Deutsche Zustände", in der er Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und dergleichen mehr der Deutschen protokollieren möchte (JF 51/02). Oder zumindest, was er dafür hält: Denn die Untersuchung dürfte mehr über das geistige Klima in Bielefeld als im Rest der Bundesrepublik aussagen. Wer beispielsweise dem Satz: "Der Islam hat eine bewundernswerte Kultur hervorgebracht" nicht zustimmen will, hat nicht etwa eine Meinung, sondern eine Krankheit, die Heitmeyer "Islamophobie" nennt. Geboren werde diese aus dem "Syndrom", die eigene Gruppe über eine andere stellen zu wollen. Mit solchen Methoden kann Heitmeyer dann beispielsweise bei über der Hälfte aller Deutschen eine fremdenfeindliche Einstellung messen - und entsprechend einen "Extremismus der Mitte" feststellen. Wobei sich beim Leser freilich der Eindruck einstellen möchte, daß die einzigen Extremisten dieser Studie Heitmeyers Mitarbeiterstab ist.

Allerdings muß man Heitmeyer zugute halten, daß er seine Aufgabe als Konfliktforscher ernst nimmt und sich in den vergangenen Jahren vermehrt den Orten widmet, wo nicht nur virtuell "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" ausgelebt wird: jenen wachsenden "Parallelgesellschaften" also - ein Begriff, den Heitmeyer mit einführte -, von denen Neukölln erfüllt ist. Hier kann der Wissenschaftler durchaus hilfreiche Erkenntnisbeiträge geben wie den, daß die vordergründig spektakuläre Jugendgewalt nur ein äußerliches Zeichen der Gewalt in der Familie darstellt. Hier sei der eigentliche Ort zu suchen, wo gewalttätiges Verhalten eingeübt wird. Eine erschreckende These, hörte man doch anschließend einen Lagebericht von Stefan Bonikowski, Polizeibeauftragter der Bezirke Kreuzberg und Neukölln, der von "dramatischen Veränderungen" der vergangenen dreißig Jahre spricht: "Ich bin erstaunt, wenn ich mir also die Situation in den Familien anschaue, in den Schulen, die ja wiederum ein Spiegelbild der Familie letztendlich sind, (...) bin ich erstaunt, daß es immer noch so ruhig ist." Schaue man auf die Familien, so der Polizist weiter, erfahre man "sehr vieles".

Doch hier weht selbst für Heitmeyer ein anderer politischer Wind. Der vom "Programm gegen Rechts" verwöhnte Professor mußte zugeben, ein entsprechendes Forschungsprojekt nur schwer finanziert zu bekommen. Dabei ist eine Furcht vor wahrhaft unbequemen Thesen Heitmeyers unbegründet. Denn er bleibt seiner Ideologie treu. Die Bildung von Parallelgesellschaften sei eine Reaktion auf Exklusionsmechanismen der deutschen Gesellschaft. Da die Einwanderer so keine Anerkennung finden können und damit sozial desintegriert würden, verbleibe ihnen schlußendlich nur die autochthone Religion als identitätsstiftendes Reservoir. Eine interessante Feststellung, hat doch Heitmeyer gerade schlüssig dargelegt, daß die in der Familie gelebte Kultur ausschlaggebend sei. Damit wäre die Gewaltursache allerdings nicht in der deutschen Gesellschaft zu finden.

Es dürfte wohl eine Ahnung davon sein, wenn ausgerechnet Heitmeyer in seinem Resümee warnend auf den Umstand hinweist, der "häufig völlig unterschlagen" werde:  "Wir werden es in nicht allzu ferner Zeit mit einer Verschiebung der Bevölkerungsrelationen zu tun haben." Mehrheiten würden entstehen, bei denen die hohe Gefahr einer Desintegration besteht. Heitmeyer ist couragiert genug, seine Ratlosigkeit einzugestehen: "Was uns an vielen Stellen fehlt, glaube ich - ich rede von mir -, das sind Ideen. Ideen gerade auch, was diese Anerkennungsfragen angeht." Nun, der Weg zu neuen Ideen ist einfach, aber nicht sehr angenehm. Zunächst müßte Heitmeyer das ideologische Umwälzwerk seines Institutes verlassen und sich eine Wohnung in der Rollbergsiedlung suchen, am besten neben einer arabischen Großfamilie.

Er würde viel über Gruppendynamiken lernen, und vielleicht erwüchse ihm dann folgende Erkenntnis: Wenn man in dem Einwanderer immer nur das Opfer sehen will, welches man stets für die persönliche Anklage und Verurteilung der deutschen Gesellschaft gebrauchen möchte, dann hat das viel mit "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" und "Stigmatisierung" zu tun, aber nichts mit Anerkennung. Denn Anerkennung heißt vor allem, jemanden in seinem Handeln als Tätigen wahrzunehmen und zu beurteilen. Dazu gehört aber auch, einen Täter zu verurteilen. Wer ihn aber stets nur in die Rolle des passiven Opfers herabwürdigen will, der stößt ihn in Wirklichkeit aus der Gesellschaft aus.

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