© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Zeitschriftenkritik: Gehirn & Geist
Bücher statt Fernsehen
Werner Olles

Gehirn & Geist, das monatlich erscheinende "Magazin für Psychologie und Hirnforschung" beschäftigt sich in seiner aktuellen Ausgabe mit dem Schwerpunktthema "Hochbegabung". Als wesentliches Indiz für eine Hochbegabung gilt ein bei einem ergänzenden objektiven Intelligenztest erbrachter IQ-Wert über 130. Etwa 2,4 Millionen Hochbegabte leben in Deutschland, und zehn Prozent aller Kinder besitzen ein außergewöhnlich hohes Leistungspotential. Doch ist überdurchschnittliche Intelligenz allein noch längst kein Garant für schulischen oder sozialen Erfolg. Automatisch bekommen auch Hochbegabte nicht nur gute Noten oder bessere Berufschancen. Dem niederländischen Psychologen Franz Mönks zufolge müssen auch bei einer hohen Intelligenz die Rahmenbedingungen stimmen: Familie, Schule, Freundeskreis, Kreativität, Motivation und gute Lernstrategien.

In der Begabtenforschung werden bereits seit langem die Lebens- und Berufswege von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit überdurchschnittlicher Intelligenz analysiert. Dabei wurde unter anderem festgestellt, daß hochbegabte Menschen zwar nicht anders, aber einfach schneller und effektiver denken als Normalbegabte. Ausdrücklich gewarnt wird jedoch vor einer "Förderhysterie", die manche Eltern Zwei- bis Vierjährigen mit schulähnlichen Programmen wie etwa Englisch-Frühkursen angedeihen lassen. Gespräche am Tisch und in der Freizeit, gemeinsame Unternehmungen oder Besuche in Museen, Zoos und bei Freunden nutzen hier mehr. Auch wenn Kinder bereits mit der Erfahrung aufwachsen, daß Bücher zum Familienleben gehören, ist schon viel gewonnen. Hängen Eltern und Kinder dagegen stundenlang vorm Fernseher, ist eine schleichende Verblödung vorprogrammiert.

So haben Mediziner und Hirnforscher inzwischen herausgefunden, was in genialen Gehirnen anders läuft als beim Durchschnittsmenschen. Keinerlei Hinweise für erhöhte neuronale Effizienz ergaben dabei die meisten Hirnaktivitätsmessungen. Vielmehr haben Hochbegabte im Vergleich zu Normalbegabten regional vergrößerte Hirnareale sowie eine erhöhte Hirnaktivität, sobald sie sich mit kognitiven Aufgaben beschäftigen, die ihren geistigen Fähigkeiten entsprechen. Doch herrscht auch unter den Genies ein buntes Durcheinander: Linkshänder weisen zum Beispiel einen höheren "musikalischen IQ" auf, aus ihnen können also mit viel Glück und noch mehr Fleiß die klassischen Wunderkinder werden.

Allen, denen dies nicht vergönnt ist, ist es vielleicht ein kleiner Trost, daß Genies wie etwa Leonardo da Vinci oder Albert Einstein mit erheblichen Rechtschreibproblemen zu kämpfen hatten. Und überhaupt bestimmt vor allem die Mutter, ob höhere Intelligenz vererbt wird. Zudem kommen sowohl Minder- als auch Hochbegabung häufiger bei Männern vor.

Mit dem heiklen Thema des Kindesmißbrauchs bei Jungen befaßt sich dagegen der Beitrag "Die Mauer des Schweigens". Tatsächlich erleiden zwischen fünf und zehn Prozent der Jungen in Deutschland ein solches Schicksal. Nur wenig bekannt ist, daß auch Frauen Mißbrauchsdelikte verüben, doch ist der Anstieg des Täterinnenanteils evident.

Anschrift: Postfach 10 48 60, 69038 Heidelberg. Einzelheft 7,90 Euro, Jahresabo 68 Euro (Studenten 55 Euro). Internet: www.gehirn-und-geist.de

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