© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Pankraz,
H.-H. Hoppe und die smarten Nichtwähler

Der Nichtwähler, das unbekannte Wesen. Obwohl die Zahl der Nichtwähler auf allen politischen Ebenen ständig zunimmt, obwohl beispielsweise bei den kürzlichen Hamburger Bürgerschaftswahlen fast vierzig Prozent aller Wahlberechtigten zuhause blieben, hält es kein Umfrage-Experte für nötig, diese Bevölkerungsgruppe einmal genauer nach ihren Motiven zu befragen, sie strukturell aufzuschlüsseln und mit anderen Gruppen zu vergleichen. Ihm genügt ihre pauschale Kennzeichnung als "politikverdrossen".

Pankraz ist kein Umfrage-Experte und kann deshalb nur Vermutungen äußern, gestützt auf ungeordnetes Hörensagen und eigene Spontanreflexe. Doch seiner Beobachtung nach ist das Spektrum der Nichtwähler mindestens ebenso bunt und vielfältig wie das der Wähler. Die von Wahl zu Wahl sich verändernden Motive des Nichtwählens sind mindestens ebenso interessant wie die divergierenden Entscheidungen beim Wählen. 

Es gibt prinzipielle Nichtwähler und gelegentliche Nichtwähler, gleichgültige und hoch engagierte, von der Politik faszinierte wie von der Politik enttäuschte. Es gibt überzeugte CDU/CSU-Nichtwähler, überzeugte SPD-Nichtwähler, überzeugte linke Nichtwähler und überzeugte rechte Nichtwähler. Am seltensten sind allem Anschein nach die überzeugten Grünen-Nichtwähler.

Wer bisher die Grünen wählte und eines Tages mit ihnen unzufrieden ist, der wird nicht zum Nichtwähler, sondern wählt eine andere Partei. Er ist grundsätzlich "politisch engagiert", "setzt seine Stimme bewußt ein". Er ist der typische "Wechselwähler". Nichtwähler sind dagegen entweder politisch völlig gleichgültig oder aber so lange mit einer bestimmten Partei liiert gewesen, daß sie sie diesmal "bestrafen" wollen, ohne den anderen einen Bonus zu verschaffen. Sie lassen ihr Engagement gewissermaßen ruhen, gewöhnen sich indessen an diesen Zustand der Enthaltsamkeit und gehen bald überhaupt nicht mehr zur Wahl.

Ist einer erst einmal draußen, wachsen ihm schnell ganz neue Erkenntnisse zu. Unentwegt jedenfalls steigt die Zahl der prinzipiellen Nichtwähler. "Es ändert sich ja doch nichts", hört man, "wo du dein Kreuzchen auch hinmachst." Viele sagen auch: "Wir brauchen die Politik gar nicht (mehr), wir haben doch Industrie und Bürokratie und Medien und Umfragen. Heutige Politiker wollen doch gar nichts wirklich, außer Geld für sich und ein bißchen Gelegenheit zu öffentlicher Wichtigtuerei. Ansonsten richten sie sich sklavisch nach Umfragen und Medienmeinung."

Ernsthafte Politologen und ehemalige Habermas-Schüler wie der libertäre Hans-Hermann Hoppe vertreten sogar die Meinung, die demokratisch gewählten Politiker seien nicht nur völlig überflüssig, sondern ein schweres Hindernis für die Etablierung optimaler Lebensverhältnisse. Sie riefen ständig auf dem falschen Bein Hurra, und ihre wirtschaftliche Inkompetenz habe sich längst zu einem gefährlichen Störfaktor für das Funktionieren der freien Marktwirtschaft entwickelt.

"Nicht einmal unterhaltsam sind sie", konstatierte schon der verstorbene Politmoderator Achim Reiche in intimer Runde. "Keiner reißt mehr mit, keiner verströmt Charisma, keiner fesselt die Massen oder fasziniert die Intellektuellen. Ihre Affären sind kümmerlich, ihr sonstiges Privatleben total langweilig. Wo sie bei Galas oder sonstwo im Showgewerbe vorgezeigt werden, wird es nur noch peinlich. Also, was soll's?"

Alternativen gibt es in dieser Perspektive nicht. Die Linke? "Ein Betrugsmanöver mit alten SED-Kadern als Gruselbeilage, in Wirklichkeit ein von den etablierten Kräften gewolltes Bollwerk gegen Rechts und Auffangbecken für populistische Stimmungen." Rechte Gruppierungen? "Bis zum Gehtnichtmehr mit Agenten des Verfassungsschutzes durchsetzt, jederzeit kriminalisierbar und abführbar." Die wilden, scheinbar doch ernst gemeinten Machtspiele in den Medien? "Eine einzige Schmierenkomödie. Die eigentlichen Entscheidungen werden ganz woanders getroffen."

Solche Reden klingen natürlich nach "Stammtisch", aber möglicherweise ist trotzdem etwas an ihnen dran. Irgendwo hat Pankraz gelesen, daß sich das intellektuelle Niveau der Nichtwähler, besonders das der prinzipiellen Nichtwähler, während der letzten Jahre ständig erhöht habe. Prinzipielle Nichtwähler sind keineswegs gleichgültig gegenüber der Politik, im Gegenteil, nur eben: sie verachten sie, verachten das politische Personal, die gängige politische Rhetorik, den ganzen Politikstil, wie er sich bei uns herausgebildet und verfestigt hat und sich tagtäglich im Fernsehen darbietet.

Bleibt die Frage: Wie mächtig sind die Nichtwähler selbst, und zwar "als Nichtwähler"? Verachtung und Enthaltsamkeit sind ja nicht gerade Vehikel, um Einfluß zu gewinnen. Und das pure Quantum macht es offenbar auch nicht. Ein Blick in andere Länder, zum Beispiel in die USA, kann da lehrreich sein. Dort ist die durchschnittliche Wahlbeteiligung noch viel geringer als in Deutschland, liegt oft selbst bei größten, "entscheidendsten" Abstimmungen weit unter fünfzig Prozent, ohne daß das den Lauf der Politik auch nur im geringsten beeinflussen würde. Die Hunde schweigen, die Karawane zieht weiter.

Trotzdem mag unter dem Druck kontinuierlich sinkender Wahlbeteiligungen ein schleichender Prozeß der Delegitimierung einsetzen, der die Dinge dann doch allmählich verändert und zu neuartigen Verhältnissen führt. Welcher Akteur kann und will sich denn noch vollmundig auf den Willen des Volkes berufen, wenn er in seinem exklusiv mit Wählerzahlen gefütterten Hinterkopf weiß, daß ihm allenfalls zwanzig Prozent ihre Stimme gegeben haben, bei vierzig Prozent Wahlbeteiligung! Das Zappeln der Politiker wird  endgültig zum Kabarett, die große politische Bühne zum Hohlraum.

Gut möglich, daß eines Tages der Spaß aufhört, aufhören muß, und sich der Hohlraum mit Funkenflügen füllt. Dann würde die politische Anteilnahme der Nichtwähler wohl wieder wachsen.

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