© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/08 07. März 2008

Welle der Gewalt
Vormarsch des Faustrechts
Dieter Stein

Schon wieder vergessen ist die aufgeregte Debatte Anfang des Jahres über kriminelle Jugendliche "mit Migrationshintergrund". Im Zuge der hitzigen Wahlkampfschlacht um den hessischen Landtag erfuhren die sonst beschwiegenen Opfer des Vorbürgerkrieges eine kurze prominente Behandlung in den Nachrichtensendungen des Fernsehens, wenige Gesprächsrunden widmeten sich der Frage der explodierenden Gewalt und möglichen Antworten darauf. Es wurde geredet und geredet, Roland Koch konnte wegen der vordergründigen Instrumentalisierung des Themas nicht punkten und so verschwanden die täglichen Exzesse in die lokalen Randspalten, und wir sind wieder am Ausgangspunkt angekommen.

Anfgang der Woche fährt ein Redakteur dieser Zeitung mit der U-Bahn nach Hause. Im Waggon randalieren fünf türkische Halbstarke, reißen Fenster auf und pöbeln eine deutsche Frau an. Zwei Dutzend Fahrgäste blicken ängstlich zu Boden. Haben die Türken Messer? Ein Mann stellt sich schützend vor die Frau, woraufhin die Jugendlichen "mit Migrationshintergrund" schreien: "Scheiß-Deutsche, Scheiß-Nazis!" Dieses Mal geht es glimpflich aus.

Nachrichtensplitter der letzten Tage: Vorigen Samstag eilt in einer Berliner U-Bahn ein Deutscher zwei Frauen zu Hilfe, die von einem Mann belästigt werden, der nach Polizeiangaben "Südländer" sei (damit sind in der Regel nicht Italiener oder Spanier, sondern Türken und Araber gemeint). Der Deutsche wird mit Faustschlägen und Fußtritten ins Gesicht schwer verletzt. Kurz danach stechen zwei türkische Jugendliche auf einen (türkischen!) Busfahrer ein, der gegen Halbstarke eingeschritten war, die Fahrgäste bepöbelten. Zur Vollständigkeit des Lagebildes gehört, daß am vergangenen Sonntag ein junger Mann aus Angola von einer jungen Deutschen als "Scheiß-Nigger" beschimpft und vor eine U-Bahn gestoßen wurde und nur knapp vor der ankommenden Bahn gerettet werden konnte.

Wie gehen damit die Medien um? Im Falle des Angolaners werden Opfer und Täterin überall ethnisch zugeordnet, der Staatsschutz ermittelt wegen des Verdachts eines politisch motivierten Mordversuchs, und die Medien sprechen zu Recht von einem "rassistischen Übergriff". In den Fällen, wo Deutsche als "Nazis" oder "Scheiß-Deutsche" beschimpft und angegriffen werden, verschweigen die Medien meist in Selbstzensur die ethnische Herkunft, es schaltet sich auch nicht der Staatsschutz ein, weil Hetze gegen Inländer nicht unter den Volksverhetzungsparagraphen fällt.

"Das schlimmste ist zu sehen, daß man so machtlos ist", sagt eine Zeugin der jüngsten Schlägereien. Der Betriebsratsvorsitzende eines Berliner Verkehrsbetriebes spricht von einem "Tabuthema", das die Politik "endlich zur Kenntnis nehmen" müsse. Die meisten Vorfälle gelangen gar nicht an die Öffentlichkeit, weil Bedienstete aus Angst vor Repressalien keine Anzeige erstatten, so eine Untersuchung.

Der Staat wird auf die Probe gestellt. Die Mehrheit der Bürger ersehnt drakonische Antworten. Doch sie bleiben aus. So bleibt das Faustrecht auf dem Vormarsch.

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