© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Mischwesen
Politische Zeichenlehre XLIII: Doppeladler Ost
Karlheinz Weissmann

Im Vorfeld der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo verbreiteten die Nachrichtenagenturen das Bild eines gigantischen Gerüsts in der Hauptstadt Priština, darauf der Schriftzug "Independence is ready" in Rot, der einen großen schwarzen Doppeladler, das Wappen Albaniens, einfaßte. Nur Albanien hat immer am Doppeladler als nationalem Symbol festgehalten, während das alte Zeichen imperialer Macht sonst schon nach dem Ersten Weltkrieg (Österreich, Rußland) oder nach dem Sieg des Kommunismus in Osteuropa (Serbien, Montenegro) verschwand.

Diese Zähigkeit hat mit der fragilen Kontinuität der albanischen Geschichte zu tun, die sich bloß auf einige wenige Fixpunkte beziehen läßt, zu denen jedenfalls der Kampf des Fürsten Skanderbeg gehört. Dessen Name lautete eigentlich Georg Castriota, und sein Ruhm gründete darauf, daß er 1443 den Kampf gegen die türkische Besetzung seiner Heimat aufnahm. Trotz der Überlegenheit der Osmanen konnte er mehr als zwanzig Jahre lang die Unabhängigkeit Albaniens verteidigen.

Schon zu Beginn des Krieges hatte Skanderbeg über seiner Festung Kruja eine rote Fahne mit schwarzem Doppeladler aufziehen lassen, die zum Vorbild aller späteren albanischen Flaggen wurde. Das Motiv fand sich deshalb auch auf der Fahne des Rebellenführers Isa Boletin, dem es 1911 gelang, die Unabhängigkeit Albaniens vom Osmanischen Reich zu erzwingen. Er fügte nach Anerkennung der Autonomie durch die Hohe Pforte noch einen weißen Stern über dem Doppeladler ein. Nicht einmal in der Zeit der italienischen Besetzung des Landes oder der kommunistischen Herrschaft wurde diese Symbolik in Frage gestellt; die Kommunisten ergänzten den Doppeladler lediglich um einen roten, golden geränderten Sowjetstern über den Köpfen des Adlers, den man nach dem Ende des Regimes 1992 wieder aus Flagge und Wappen entfernte.

Skanderbegs  Entscheidung zugunsten des Doppeladlers hatte damit zu tun, daß der auf dem Balkan als das Symbol christlicher, nämlich byzantinischer Herrschaft galt. In Byzanz war er allerdings erst relativ spät in Gebrauch gekommen. Nach allgemeiner Überzeugung soll Kaiser Michael VIII. 1261 - nach der Rückeroberung seiner Hauptstadt von den Kreuzrittern - einen Doppeladler als Zeichen seiner Herrschaft eingeführt haben. Obwohl die Figur wie viele ähnliche Mischwesen aus dem Orient stammte, war sie bis dahin nicht als kaiserliches Emblem verwendet worden; anders im Westen, wo die Staufer seit dem 12. Jahrhundert entsprechende Wappen führten und insofern den Paleologen ein Vorbild gaben. Der Doppeladler kehrte also auf einem Umweg in den Osten zurück und wurde dann für die folgenden zwei Jahrhunderte von der kaiserlichen Dynastie als Wahrzeichen verwendet. Da es im byzantinischen Reich keine Wappen im genauen Sinn gab, lagen die Farben nicht fest.

Schließlich fiel Byzanz im Jahr 1453 durch den Ansturm der Türken. Viele Geistliche und Gelehrte flohen in das angrenzende Rußland und wandten sich an den Großfürsten von Moskau um Hilfe. Theoretisch gehörte der Plan, Byzanz zurückzuerobern, bis ins 19. Jahrhundert zu den Zielen russischer Außenpolitik. Wichtiger als diese strategische Absicht war aber das ideelle Erbe, das den Großfürsten mit dem Untergang von Byzanz zufiel. Denn sie betrachteten sich in der Nachfolge der byzantinischen Kaiser als "Zaren" und Moskau als das "Dritte Rom".

Sinnfällig kam dieser Anspruch darin zum Ausdruck, daß seit Iwan III. auch die Herrscher Rußlands den Doppeladler verwendeten. Dabei blieb es bis zur Bolschewistischen Revolution von 1917, die statt dessen Hammer und Sichel einführte. Ohne Zögern ist Rußland aber 1991, nach dem Ende des kommunistischen Systems, zum Doppeladler zurückgekehrt, der im Staatswappen sogar mit der alten Zarenkrone versehen erscheint.

Dieser restaurativen Tendenz folgte ähnlich Serbien, während der albanische Doppeladler für eine ungebrochene Tradition stand. Bemerkenswert ist deshalb, daß das Symbol in der offiziellen Flagge des Kosovo (blaues Feld mit den Umrissen des Gebietes, darüber sieben weiße Sterne) nicht auftauchen darf, um alle Bedenken hinsichtlich großalbanischer Pläne zu zerstreuen - die spontanen Demonstrationen der Bevölkerung am Tag der Unabhängigkeitserklärung, als Priština in einem Meer albanischer Flaggen ertrank, waren da aussagekräftiger.

Foto: Schwarzer Doppeladler, das Wappen Albaniens

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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