© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Von allen guten Geistern verlassen
Wirtschaftspolitik: Deutschland hat mit seinen keynesianischen Experimenten schlechte Erfahrungen gemacht
Bernd-Thomas Ramb

Da reibt sich so mancher Ökonom in Europa wie in den USA verwundert die Augen. Präsident George W. Bush, konservativer Republikaner und in derselben Partei wie sein wirtschaftspolitisch erfolgreichster Vorgänger Ronald Reagan - der mit seiner angebotsorientierten Wirtschaftspolitik (ihm zu Ehren später als Reaganomics bezeichnet) den Aufschwung der US-Wirtschaft in den achtziger Jahren ermöglichte - legt im letzten Jahr seiner Amtszeit ein Konjunkturprogramm keynesianischer Prägung auf: das Gegenteil von dem, was wirtschaftspolitisch erprobt und bewährt ist.

Gewiß ist die US-Wirtschaft durch das Platzen der Immobilienspekulationsblase erschüttert (JF 8/08). Die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) hat darauf mit einer sturzflugartigen Senkung der Leitzinsen geantwortet, die ihrerseits schon das Staunen der Wirtschaftswissenschaftler hervorgerufen hat. Fed-Chef Bernard Bernanke, vormals Wirtschaftsberater von Bush, ignoriert - anders als seine Vorgänger - die dadurch  verstärkten Inflationsgefahren.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ziert sich dagegen, die Leitzinssenkung nachzuvollziehen. Sie will die Euro-Inflation, die ohnehin schon schmerzhafte Höhen erklommen hat, nicht weiter anheizen. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat zusätzliche Milliardenausgaben zur Stützung der Konjunktur wegen der weltweiten Finanzmarktturbulenzen in seiner Regierungserklärung abgelehnt.

Die aus amerikanischer Sicht positiven Effekte der mit der Zinssenkung verbundenen Dollarschwäche auf den US-Export reichen Bush offensichtlich nicht aus. Er will den schwächelnden Binnenmarkt beleben. Warum aber greift er nicht auf die bewährten Mittel der Angebotspolitik zurück, sondern in die Mottenkiste des Keynesianismus? Bush will Familien mit geringem Einkommen eine Steuerrückzahlung von 600 Dollar pro Erwachsenen und 300 Dollar pro Kind überweisen. Ökonomen bezeichnen so etwas als helicopter money: Geld, das vom Himmel regnet.

Die Freude der unverhofft Beschenkten mag groß sein, die ökonomische Wirkung ist dagegen begrenzt. Werden die Geldmittel der Konsumenten ohne produktive Gegenleistung einmalig und schlagartig erhöht, führt das zum Abbau von Lagerbeständen - sofern vorhanden - oder zu reinen Preiserhöhungen. Oder aber der Geldsegen wird für schlechte Zeiten angespart. Wird er für den Kauf von Konsumgütern ausgegeben, fließt ein Teil über die zusätzlichen Einnahmen an Konsumsteuern an den Staat zurück, so daß die tatsächlichen Konjunkturbelebungsausgaben etwas sinken. Aber das ist auch der einzige positive Effekt. Kein Unternehmer wird aufgrund einer derartig kurzfristig angestiegenen Konsumgüternachfrage seine Produk-tionskapazitäten ausweiten.

Müßten tatsächlich für diesen Nachfrageschub mehr Güter produziert werden, so würden die Unternehmen ihre - meistens ohnehin nicht voll ausgeschöpften - Produktionskapazitäten kurzfristig stärker auslasten, die Betriebszeiten erhöhen und den Beschäftigten Überstunden verordnen. Die Ausweitungen der Produktionskapazitäten durch Neuinvestitionen oder gar die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte bedarf langfristiger Perspektiven.

Das absehbare Strohfeuer der staatlichen Konsumentenförderung durch hektische Konjunkturprogramme bietet keine stabilen Zukunftsaussichten. Die Wirkung dieser Politik verpufft nicht nur mit kurzem Knall, der Nachhall ist fatal: Steigende Begierde und anhaltende Verschuldung sind die Folge.

Die Begehrlichkeit gründet in der Forderung nach Wiederholung des keynesianischen Experiments. Verpufft der erste Versuch, wird bemängelt, er sei nicht ausreichend gewesen. Gerade Deutschland hat 1963 und 1967 mit den ersten beiden keynesianischen Experimenten nach dem Zweiten Weltkrieg schlechte Erfahrungen gemacht. Eine stagnierende Wirtschaftsentwicklung mit hohen Inflationsraten, kurz Stagflation genannt, war in den siebziger Jahren die Folge.

Im Prinzip wurde seit dieser Zeit unter den wechselnden Regierungen eine permanente "keynesianische" Wirtschaftspolitik betrieben: Verteilung staatlicher Gelder an nichtproduktive Mitglieder der Gesellschaft, immer weniger - aber auch - finanziert durch steigende Steuereinnahmen, immer mehr beglichen durch zunehmende Staatsverschuldung. Im Sinne des Erfinders ist das nicht mehr. Keynes wollte die vorübergehende Aufnahme von Staatsschulden in Phasen konjunktureller Depressionen durch entsprechenden Schuldenabbau in Zeiten der florierenden Konjunktur ausgleichen. Diese keynesianische Fußnote wird jedoch von den heutigen "Keynesianern" geflissentlich übersehen.

Bei genauer Betrachtung können allerdings Bushs Konjunkturprogramm Anleihen beim erfolgreicheren Modell der Reaganomics nicht abgesprochen werden. Einen Teil der Gelder will er in Form von Steuererleichterungen und Investitionsförderung für eine Verbesserung der Angebotsseite verwenden - wahrlich probatere Mittel zur Wirtschaftsbelebung als Geldgeschenke an die Konsumenten.

Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahl mit wahrscheinlich knappem Ausgang und in Zeiten zunehmender Begehrlichkeit des Wahlvolkes nach Einkommensbezügen ohne Leistungsäquivalent erscheint das Verteilen von Wahlgeschenken bar auf die Hand als verständliche Notreaktion, ökonomisch verzeihlich ist es aber nicht.

 

Prof. Dr. Bernd-Thomas Ramb ist selbständiger Wirtschaftsberater und außerplanmäßiger Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geld- und Fiskalpolitik sowie die Allgemeinen Grundlagen der Wirtschaftspolitik.

Foto: US-Fed in Washington: Kongreß genehmigte 150 Milliarden Dollar

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