© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Ein Raketenpionier sorgt für Schlagzeilen
Geschichtspolitik: Die Stadt Bernstadt in Sachsen benennt Schule nach dem V2-Entwickler Klaus Riedel / Proteste in Großbritannien
Paul Leonhard

Der deutsche Raketenpionier Klaus Riedel (1907-1944) war bisher der Stolz von Bernstadt. Die Einwohner der Oberlausitzer Kleinstadt in Sachsen richteten ihm eine Stube im Heimatmuseum ein, stellten ein Denkmal auf, und schließlich gaben sie der Mittelschule im vergangenen Herbst den Ehrennamen "Klaus Riedel".

Damit gerieten sie aber in eine bis heute andauernde Auseinandersetzung, die die britische Zeitung Daily Mail Ende Januar mit der Überschrift "The V2 kindergarten" eröffnete. Ein deutsches Boulevardblatt titelte gar: "Hitlers schrecklicher Raketenbauer".

Seitdem mehrt sich der Druck auf die Bernstädter Kommunalpolitiker, der Schule den Namen wieder zu entziehen. Es sei unverantwortlich, eine Schule nach einem Mann zu benennen, der im engsten Führungszirkel der Heeresversuchsanstalt Peenemünde und führend an der Entwicklung der Terrorwaffe V2 beteiligt war, sagt beispielsweise Technikforscher Johannes Weyer von der Technischen Universität Dortmund. Seiner Meinung nach hätte man Riedel, wenn dieser 1945 noch gelebt hätte, "vor ein Kriegsgericht stellen müssen".

Die Bernstädter wollten aber weniger dem in Peenemünde tätigen Techniker ein Denkmal setzen als dem Raketenpionier, der vom Flug zum Mond träumte und im Spätsommer 1930 auf den Bernstädter Feldern seine selbstentwickelte Minimumsrakete Mirak I testete. Mehr als hundert Brennversuche mit Flüssigkeitsraketen führte Riedel in Bernstadt durch, bevor er mit anderen den Raketenflugplatz Berlin-Reinickendorf gründete. In der NS-Zeit wurde die private Raketenforschung dem Heereswaffenamt unterstellt. Riedel war in Pee­nemünde für die Einsatzvorbereitung des "Aggregat IV" (V2) und später bis zum Tod am 4. August 1944 für die Entwicklung von Triebwerken für die militärische Interkontinentalrakete A9 zuständig.

Angebliche kommunistische Umtriebe

Riedel habe einen der Grundsteine dafür gelegt, "daß heute Astronauten und Kosmonauten ins Weltall fliegen können", sagt Bernstadts Bürgermeister Gunter Lange. Riedel sei ein in seine Arbeit vernarrter Techniker gewesen und kein Nationalsozialist. Schulleiter Hartmut Lehmann erinnerte daran, daß man sich seit zwei Jahren intensiv mit dem Leben Riedels beschäftigt und sogar ein Konzept entwickelt habe, um die Forschungen des Raketenpioniers in Unterricht und Schulleben einzuflechten.

"Ich finde es mit Blick auf Tausende tote Briten und Zwangsarbeiter grob unsensibel, eine Schule nach einem Mann zu benennen, der geholfen hat, diese Rakete zu bauen", hält der konservative Parlamentarier Henry Bellingham in der Daily Mail dagegen. Auch die Oberlausitzer Landtagsabgeordnete Astrid Günther-Schmidt versteht nicht, warum in Bernstadt verschwiegen werde, daß sich für die Häftlinge aus den Konzentrationslagern und Zwangsarbeiter dabei die Hölle geöffnet habe. Es dürfe nicht sein, daß man einen Mann ehre, "dessen einziges Verdienst es war, Raketen für den Angriffskrieg zu entwickeln".

Die Nachfahren des deutschen Raketenpioniers verweisen indes darauf, daß Riedel wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe im März 1944 inhaftiert worden war und zwei Wochen nach dem Attentat auf Hitler unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Die biederen Bernstädter Politiker wollen die Namensvergabe jetzt neu überdenken.

Gutachten sollen eingeholt, Sachverständige befragt werden, damit man bald mehr über den Raketenpionier und seine Rolle in der NS-Zeit weiß. Mit angelsächsischer Gelassenheit wird derweil in Großbritannien diskutiert. Daß einer wie Riedel auf der falschen Seite gestanden habe, sei kein Grund, seine Leistungen nicht zu würdigen, schreibt ein Leser in der Daily Mail.

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