© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/08 29. Februar 2008

Die Republik kippt
Nach der Hamburg-Wahl: Der Siegeslauf der radikalen Linken stellt das Parteiensystem auf den Kopf
Michael Paulwitz

Vor Sonnenuntergang werfen sogar Zwerge lange Schatten. Da wird der rückgratlose Umfaller Kurt Beck zum listigen Strategen, der saarländische Wiedergänger Oskar Lafontaine zum Dämon des Systemwechsels und der Hesse Roland Koch zum letzten Konservativen. Die Realität ist banaler. Nach den Landtagswahlen in Hessen und Hamburg präsentiert sich die politische Klasse der deutschen Republik als Ansammlung von Getriebenen, die das marode Staatsgebäude vollends herunterwohnen, statt es zu sanieren.

Vier neue kommunistische Fraktionen in vier westdeutschen Landesparlamenten - das langweilige, aber berechenbare politische System der alten Zwei-Lager-Bundesrepublik ist passé. Die deutsche Parteienlandschaft erfährt die tiefste Veränderung seit der Etablierung der Grünen in den Achtzigern. Wieder wird das Spektrum nach links erweitert. Der Siegeslauf der Kommunisten, in einer großangelegten politischen Geldwäscheaktion von SED zu PDS zu "Linkspartei" und schließlich zur "Linken" umgemünzt, treibt die Bonn-Berliner Mitte vor sich her.

Deutschland hat jetzt ein Fünfparteiensystem. Den linken Rand definieren die Kommunisten nach Belieben, am rechten hängt die Schlußlaterne einer Union, die sich gerade radikal entkonservativisiert hat und die im Typus Merkel-Beust-Wulff den Sozialdemokraten mit freundlicherem Antlitz als neues Erfolgsmodell erblickt. Auf dem so markierten Feld tummelt sich eine in drei Parteien zersplitterte Linke als einzig verbliebenes Lager neben einem bürgerlichen Vakuum.

Inhaltlich verbindet dieses Fünfer-Kartell mehr, als die Abgrenzungskämpfe um die Zimmerverteilung erkennen lassen. Alle fünfe glauben, daß ohne die "soziale" Orientierung am Transferempfänger keine Wahl mehr gewonnen werden könne; daß Ausländer- und Einwanderungspolitik im Aufblähen sozialpädagogischer Integrationsapparate bestehen müsse und nicht im Durchsetzen von Staatsräson und Volkswohl; und daß schließlich der Kampf "gegen Rechts" des vereinten Eifers "aller Demokraten" wert sei. Von solchen gemeinsamen Sozialismen bis zur Einheitsliste der nationalen Front ist es nur noch ein kurzer Gedankensprung.

Nicht einmal die linken Antreiber verdanken ihren rasanten Durchmarsch eigener Stärke und Unwiderstehlichkeit. Als Symptom einer längst zur Staatskrise gewordenen Krise des Parteiensystems gedeiht die SED-PDS-Linke auf dessen Schwachstellen und Defiziten wie Rotfäule im morschen Staatsgebälk. Sie erntet die faulen Früchte einer linken kulturellen Hegemonie des öffentlichen Diskurses, deren medialem Übergewicht sich die politische Klasse widerspruchslos unterworfen hat.

Als Ergebnis können, keine zwanzig Jahre nach dem vom Volk erzwungenen Sturz der roten Diktatur, die Bankrotteure der untergegangenen DDR offen zum "Systemwechsel" blasen, können alte Stasi-Kader im Verein mit linksextremen West-Sektierern und SPD-Frustrierten in Robin-Hood-Pose Proteststimmen einsammeln, ohne daß Nachfragen zum blutigen Erbe ihrer totalitären Ideologie oder Empörung über die Mauerphantasien ihrer DKP-Genossen sie ernsthaft unter Druck setzen könnten.

Die SPD erlebe gerade die Tragödie ihrer Zwangsvereinigung mit den Kommunisten zur SED in der Wiederholung als Farce, ätzte dieser Tage Wolf Biermann, der seinen Marx gelesen hat. Armseliger stand selten ein SPD-Vorsitzender da als Kurt Beck, der schon vor der Hamburg-Wahl einer Zusammenarbeit mit der Linken das Wort redete. Einerlei, ob das nun ein kalkulierter Coup sein sollte, um die hessische FDP unter Druck zu setzen, oder ob da jemand Beck selbst durch eine Indiskretion Beine machen wollte - nach der Hamburg-Wahl ist ohnehin kein Halten mehr. Lieber als Lügner dastehen, als auf die Macht zu verzichten. Diesmal ging das Umfallen noch schneller als bei Holger Börner, der einst die Grünen mit Dachlatten erledigen wollte und dann die erste rot-grüne Koalition in Hessen führte.

Am dümmsten steht freilich die Union da, die noch immer irrtümlich glaubt, sie hätte Wahlen gewonnen. Mit ihrem naiven Glauben, die Sozialdemokraten würden ihre Kollaboration beim Kampf "gegen Rechts" mit Abstinenz nach linksaußen honorieren, ist die CDU durch Becks Manöver wieder mal eiskalt aufgelaufen. Ihr Wettern gegen die neue Volksfront ist gleichwohl ebenso unglaubwürdig. Nicht koalitionsgeile Sozialdemokraten haben die Kommunisten "salonfähig" gemacht - die Union selbst hat den entscheidenden Schritt getan, als sie den antitotalitären Grundkonsens aufgab und sich auf den "antifaschistischen" einließ, der gegen ihre eigenen konservativen Wurzeln gerichtet war.

Die SPD setzt nun darauf, daß das Sträuben einiger gegen die neue Volksfront sich als Generationenproblem demnächst erledigt. Die CDU rückt nach und sucht ihre Einsamkeit durch einen semantischen Trick zu kompensieren: Sie erklärt die Grünen, die sie übrigens bei ihrem Aufkommen noch schärfer attackierte als heute die Kommunisten, einfach zu den neuen "Bürgerlichen". Wenn es der Macht dient, fliegen dann eben die letzten nichtlinken Programmreste über Bord.

Ihre babylonische Gefangenschaft können die Unionsparteien aber nicht wegdefinieren. Ob große Koalition oder Schwarz-Grün - in beiden Fällen bleibt der Union nur die Rolle der Ersatz-Sozialdemokratie ohne Gestaltungsspielraum. Die echte SPD wird ihren Platz und ihren Anteil an der Macht in der strukturellen Mehrheit der linken Troika finden. Wer aber braucht dann noch die CDU?

Wenn es eine schweigende nichtlinke Mehrheit gibt, dann kann die Union sie nicht zum Sprechen bringen. Das heißt aber nicht, daß sie nicht existiert. Sinkende Wahlbeteiligungen signalisieren, daß immer mehr Menschen - Leistungsträger, Steuerzahler, bekennende Christen, Konservative - mit der einseitig gepolten Parteien-Pentarchie nichts mehr am Hut haben.

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