© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Symbole menschlichen Adels
Vor 65 Jahren wurden die prominentesten Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose hingerichtet / "Entheroisierung" löst Würdigung zunehmend ab
Peter Freitag

Die Angeklagten haben im Kriege in Flugblättern zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Lebensform unseres Volkes aufgerufen, defaitistische Gedanken propagiert und den Führer aufs gemeinste beschimpft und dadurch den Feind des Reiches begünstigt und unsere Wehrkraft zersetzt. Sie werden deshalb mit dem Tode bestraft." Noch am Tag seiner Verkündung, dem 22. Februar 1943, wurde in München dieses Urteil des "Volksgerichtshofes" gegen Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst vollstreckt.

Sie waren die ersten und sicherlich noch heute prominentesten Opfer aus der Widerstandsgruppe Weiße Rose: Im Sommer 1941 war in München ein Kreis von Medizinstudenten entstanden, die nicht nur gemeinsam ihren Verpflichtungen in der "Studentenkompanie" nachkamen, sondern auch eine ablehnende Haltung gegen das NS-Regime teilten. Wie Hans Scholl entstammten auch Christoph Probst, Willi Graf und Alexander Schmorell diversen Strömungen der bündischen Jugend, über die sie schließlich in die Hitlerjugend kamen. Auch einer ihrer geistigen Mentoren und Unterstützer, der Musikwissenschaftler Kurt Huber, war zunächst überzeugter Nationalsozialist, bevor er sich wegen des "inneren Bolschewismus" der NSDAP abwandte. In insgesamt sechs Flugblättern - verfaßt und verschickt zwischen Juni 1942 und Februar 1943 - hatte die Gruppe, zu der 1942 auch die Biologiestudentin Sophie Scholl stieß, zum Sturz der Nationalsozialisten und zur Wiederherstellung von "Freiheit und Ehre" in Deutschland aufgerufen.

Noch im Krieg begann bereits die Rezeptionsgeschichte der Weißen Rose; das beschränkte sich freilich zunächst auf andere Widerstandsgruppen oder deutsche Exilgruppen - und die gegnerischen Kriegsparteien. Daher liegt es in der Natur der Sache, daß der Umgang mit dem Wirken der Weißen Rose vor allem zweckorientiert war. Bereits im Mai 1943, als die Todesurteile gegen weitere Mitglieder der Münchner Gruppe - Willi Graf, Alexander Schmorell und Kurt Huber - noch nicht vollstreckt worden waren, erwähnte der in die Vereinigten Staaten emigrierte Thomas Mann in einer Rundfunksendung der britischen BBC an die "deutschen Hörer", daß diese "herrlichen Leute" für "Deutschlands Ehre" gestorben seien.

Als nachträgliches Alibi für die schweigende Mehrheit

Mehrere tausend Exemplare mit dem Text des 6. Flugblattes der Weißen Rose warf die britische Luftwaffe über deutschen Städten ab. Auch das von der Sowjetunion und deutschen Exilkommunisten maßgeblich beeinflußte Nationalkomitee Freies Deutschland erwähnte in einem an der Front verbreiteten Aufruf den "Weckruf der Freiheitshelden aus dem fernen München".

Unmittelbar nach dem Krieg erschienen die ersten Veröffentlichungen über die Weiße Rose in Deutschland, die noch sehr stark den Idealismus der Gruppe betonen, die christlichen und sittlichen Motive ihres Widerstands in den Vordergrund rücken. Der Philosoph Romano Guardini hielt im November 1945 die erste Gedenkrede der Münchner Universität auf die Hingerichteten, deren "ohnmächtige" Tat hervorgegangen sei aus der "Gesinnung eines von geschichtlicher Stunde Gerufenen, der tut, was sie fordert, auch wenn er dabei untergeht". Damit seien sie zu einem "Symbol menschlichen Adels" geworden.

Diese Betonung einer herausragenden Stellung der Geschwister Scholl und ihrer Mitstreiter, die das publizistische und offizielle Gedenken lange dominierte, wird heute gerne als "Geburt eines Mythos" kritisiert. Denn durch die Stilisierung des Todes der Widerstandskämpfer im Sinne eines christlichen Sühneopfers sei die Weiße Rose zum nachträglichen Alibi für die schweigende Mehrheit interpretiert worden. Ab Ende der sechziger Jahre wurde die "würdigende" zunehmend von der "kritischen" Rezeption abgelöst. Dabei wurde unter anderem negativ vermerkt, daß die Weiße Rose nicht die "unpolitische, christliche, idealistische, bürgerliche und sehr deutsche" Tradition überwunden habe und daher kein Ansatzpunkt politischen Denken und Handelns mehr sein könne, wie es 1968 formuliert wurde. Passend dazu wurde im selben Jahr, als das Aufbegehren gegen jegliche Autorität auf der Tagesordnung stand, auch die Gedenkveranstaltung der Münchner Universität gestört.

Dieser zeitgeistbedingte Umgang setzt sich bis heute fort: einerseits die offiziellen, ritualisierten Würdigungen und Namenspatenschaften - über 200 Schulen tragen den Namen der Geschwister Scholl; andererseits in der Geschichtswissenschaft eine teilweise bemühte "Entheroisierung", die im jüngsten Fall in der (unbewiesenen) Behauptung gipfelt, Hans Scholl habe unter Drogen stehend das letzte Flugblatt verteilt und dadurch seine Festnahme heraufbeschworen.

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