© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/08 22. Februar 2008

Bildungsziel Arbeitskraftlieferant
Zur hektischen Diskussion über die deutsche Hochschulpolitik nach "Bologna" und der anhaltenden OECD-Ranking-Manie
Oliver Busch

Wenn auch die Wirtschaftsauguren im "Aufschwung" erste "Dellen" entdecken: Deutschland sieht sich auf dem aufsteigenden Ast. Im Herbst 2007 schien sich gar eine schöne Aszendenz daraus zu ergeben, daß die Geschäfte brummten, die Arbeitslosenzahlen stetig zurückgingen und Deutschland mit zwei Nobelpreisträgern in Physik und Chemie wieder "Spitzenforschungsland" war.

Bis dann die US-Immobilienkrise die ökonomische Lage verdüsterte und der OECD-Bildungsbericht die Euphorie im Hause Schavan dämpfte. Die OECD verwies Deutschland bei der Zahl der Studienanfänger wie bei den Hochschulabsolventen im internationalen Vergleich ins untere Drittel der Statistik. Gerade für die wirtschaftlichen Zukunftsperspektiven des ewigen "Exportweltmeisters" seien dies alarmierende Daten. Sie belegten, daß es auf der Ebene der "Leistungsträger" einer Industriegesellschaft bald an Nachwuchs fehlen werde.

Eine Tendenz, "Deutschland nach unten zu schreiben"

Dies ist unbestreitbar, auch wenn deutsche Bildungspolitiker wie Josef Schmid, der Präsident des Lehrerverbandes, eine notorische Tendenz der OECD anprangerten, "Deutschland nach unten zu schreiben". Tatsächlich sind Australien und Neuseeland, Schweden und das statistisch zum Bildungsmusterland avancierte Finnland allesamt Staaten mit signifikant höheren Studienanfängerzahlen, bislang eben noch nicht mit Forschungsleistungen aufgefallen, die dem seit 200 Jahren kontinuierlich behaupteten deutschen Weltniveau auch nur ansatzweise nahekämen. Trotzdem, so der seit langem mit Fragen der Bildungsfinanzierung befaßte Heidelberger Politologe Manfred G. Schmidt, sei nicht daran zu rütteln, daß, wie seine Studie zur "Finanzierung der deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich" zeigt, wir derzeit "nicht einmal Mittelmaß" erreichen (Gesellschaft - Wirtschaft - Politik, 4/07). Zwar wurden im Vergleichsjahr 2004 stolze dreißig Milliarden in den "tertiären Sektor" des Bildungssystems, in die Hochschulen, gepumpt. Das sind 1,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch im OECD-Vergleich liegt der Durchschnitt bei 1,4 Prozent. In der Spitzengruppe finden sich Südkorea (2,4) und die USA (2,9). Ausgerechnet das Reich des Gegen-Intellektuellen George W. Bush meldet laufend die Aufstockung seiner Bildungsetats (Deutsche Universitäts-Zeitung, 1/08).

Die Ursachen für Fehlbeträge im Tertiärsektor, so Schmidt, sind politischer Natur. Primär gebe es eine "ungünstige Großwetterlage" bei den gesamten Bildungsfinanzen. Davon seien Grundschulen wie Universitäten betroffen. Zweitens würden in den USA oder Südkorea Hochschuletats zu zwei Dritteln privat finanziert, in Deutschland liege diese Quote unter zehn Prozent. Nur dort, wo sich die gewerbliche Wirtschaft engagiere, in der beruflichen Bildung, falle der Anteil deutlich höher aus, und hier, im "industriegesellschaftlichen Kern des Landes", zeige sich die "besondere Stärke deutscher Bildungspolitik", die zugleich den "fundamentalen Unterschied" zum US-Bildungswesen markiere.

Drittens, und darin sieht Schmidt die Hauptursache für die Finanzierungsschwäche, verlieren Bildungspolitiker im Kampf ums Geld regelmäßig gegen Sozialpolitiker. Im Wettbewerb politischer Programme sei die Sozialpolitik - hierzulande die "teuerste Staatsaufgabe" - der "große Gewinner". Unter den OECD-Mitgliedstaaten werde die krasse deutsche Differenz zwischen gefüllten Sozialschatullen und knappen Bildungskassen nur noch von Griechenland übertroffen. Schmidts Etatvergleiche ergeben allerdings nur, daß wir für Bildung weniger zahlen als andere, sie lassen zudem Ursachenanalysen zu, aber sie schweigen sich über bildungspolitische Zielsetzungen aus, sie legen auch nicht den Schluß nahe, daß mit mehr Geld automatisch besser gelehrt und geforscht wird.

Die äußerste Linke quittiert solche Kassandrarufe gern globalisierungskritisch: Nach US-Vorbild, im Zeichen der aggressiven "Neoliberalisierung", stehe die "Unterwerfung" des Bildungssystems "unter den Markt" an (Das Argument, Heft 272). Dazu würde die "Rückkehr des Reaktionärs" passen, der diesen Prozeß verbräme wie der Disziplin-Prediger Bernhard Bueb mit seiner "offen rückwärts gewandten Erziehungsideologie", den Micha Brumlik in die vorderste Front derer einreiht, die die BRD-Strukturen globalisierungskompatibel verfestigen wollen und sich daher gegen eine weitere "emanzipative Modernisierung des deutschen Bildungswesens" stemmen (Blätter für deutsche und internationale Politik, 2/08).

Ansätze, alte "Klassenbildung" einzufrosten, will auch Tino Bargel (Konstanz) bei der "Gestaltung des Europäischen Hochschulraums" erkennen. Die Zweiteilung in Bachelor- und Master-Studiengänge deute darauf hin (Das Hochschulwesen, 5/07). Zumindest in der deutschen Umsetzung des 1999 eingeleiteten "Bologna-Prozesses", der Vereinheitlichung des EU-Hochschulraums, so der Berliner Fachmann für Verwaltungsreform, Olaf Winkel, seien Tendenzen zur "Aufwertung der ökonomischen Logik" unübersehbar. Wie anders denn als die Reduktion des Studenten auf den marktgängigen "Arbeitskraftlieferanten" sei das Bachelor-Kurzstudium zu interpretieren? (Gesellschaft - Wirtschaft - Politik, 4/07).

Reformen stehen im Dienst der Effizienzsteigerung

Davon ist auch der Karlsruher Pädagoge Hans-Peter Waldrich überzeugt, der in der geradezu hektischen Diskussion um den Bildungs- und Forschungsstandort Deutschland nur einen Tenor heraushört: den der "Effizienz". Alle "Reformen" stünden im Dienst der von den "Kapitaleliten" geforderten "Effizienzsteigerung" (spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, 7/07). Partielle Zustimmung erhält Waldrich aus dem Umfeld der Konrad-Adenauer-Stiftung. Jörg-Dieter Gauger und Günther Rüther beklagen, daß die Geisteswissenschaften, als "nutzlos" eingestuft, im Chaos naturwissenschaftlich fixierter "Exzellenzcluster" und "Graduiertenschulen" untergingen (Die politische Meinung, Heft 458/08). Zwischen 1990 und 2005 hätten geisteswissenschaftliche Fächer 663 Professuren verloren, was bei anziehenden Studentenzahlen zu blamablen Betreuungsrelationen geführt habe. Ungeachtet dieses Stellenabbaus kämpfen diese Fächer aber weiter darum, ihre "Marktfähigkeit" nachzuweisen. Das 2007 ausgerufene "Jahr der Geisteswissenschaften" habe Reputationsgewinne erbracht, den ökonomisch forcierten Legitimationsdruck aber kaum gemindert. Wenn Gauger und Rüther indes raten, deren "Nutzwert" in ihren "Orientierungsleistungen" und in der Fundierung "gemeinsamer Wert­überzeugungen", auch in ihren Beiträgen zur "Verständigung der Völker und Kulturen" herauszustreichen, dann zielt dies wohl darauf ab, weltanschauliche zu Lasten wissenschaftlicher Kompetenz zu stärken.

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