© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

"Ein Gott, der zu den Möbeln paßt"
Barock, redegewandt: Interview mit dem neuen Münchner Erzbischof Reinhard Marx
Georg Alois Oblinger / Moritz Schwarz

Mit der Kirche in Bayern verbindet man im allgemeinen den Gedanken an die Kunst des Barock. Insofern scheint der neue Münchner Erzbischof, der von Amts wegen auch den Vorsitz in der Bayerischen Bischofskonferenz führt, optimal in den Freistaat zu passen. Reinhard Marx (54) ist zwar gebürtiger Westfale, doch zeichnet ihn eine barocke Leibesfülle und eine ebensolche Lebensweise aus. Der Zigarrenraucher ist einem guten Tropfen Wein und einer üppigen Mahlzeit selten abgeneigt.

Mit seinem geselligen Wesen verbindet er aber auch eine klare Sprache. So hat der promovierte Fundamentaltheologe und außerordentliche Professor für Christliche Gesellschaftslehre, der 1996 zum Weihbischof in Paderborn und 2002 zum Diözesanbischof von Trier ernannt wurde, stets Kontakt gepflegt mit allen Gruppen gleich welcher kirchenpolitischen Couleur und dabei doch eindeutig katholische Position bezogen. Er ist bekannt als scharfer Gegner aller identitätsverwischenden Praktiken insbesondere der Interkommunion. 2003 nach dem ökumenischen Kirchentag in Berlin suspendierte er den Saarbrücker Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl vom Priesteramt, nachdem dieser gegen päpstliches Verbot auch Nichtkatholiken ausdrücklich zum Empfang der heiligen Kommunion eingeladen hat.

Als Nachfolger von Hermann-Josef Spital hat Marx schon in Trier die Weichen eindeutig auf konservativere Linie ausgerichtet. Er trug wieder die von seinem Vorgänger verschmähte klerikale Kleidung und ließ in seiner Hauskapelle den Zelebrationstisch beseitigen, um wieder am Hochaltar in gleicher Blickrichtung wie das Volk die heilige Messe zu feiern. Selbige Korrektur hat übrigens auch der Papst am Dreikönigstag dieses Jahres in der Sixtinischen Kapelle vorgenommen.

Bevor der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch (69) am Dienstag dieser Woche in Würzburg als Nachfolger von Kardinal Karl Lehmann zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt wurde, galt auch Marx als einer der aussichtsreichsten Anwärter auf dieses Spitzenamt (JF 5/08).

Bislang war Marx in der Deutschen Bischofskonferenz Fachmann für soziale Fragen und hat sich hierzu oft pointiert zu Wort gemeldet. Auch Papst Benedikt XVI. liegt diese Thematik sehr am Herzen. So hat er schon in den ersten beiden Enzykliken "Deus Caritas Est" und "Spe Salvi" dieses Thema gestreift und plant, im März eine Enzyklika zu veröffentlichen, die sich ausschließlich diesem Thema widmet.

Reinhard Marx, der am 2. Februar auf dem Stuhl des heiligen Korbinian Platz genommen hat, bringt also alle Voraussetzungen mit, die ein harmonisches Verhältnis zwischen dem Vatikan und der Kirche in Deutschland zu garantieren scheinen. Die JUNGE FREIHEIT hat ihn bereits 2003 in Trier besucht und dort im Bischofspalais ein bislang nicht veröffentlichtes Interview mit ihm über grundlegende Fragen der Kirche und des Glaubens geführt.

Eure Exzellenz, Deutschland ist ein zunehmend entchristlichtes Land: Weniger Deutsche denn je glauben an die christliche Wahrheit. Man hat allerdings den Eindruck, die Kirche bleibt trotz dieser Entwicklung erstaunlich gelassen.

Marx: Manche in der Kirche bleiben ruhig, das ist richtig. Ich habe nie begriffen, daß die deutsche Einheit nicht zum Anlaß genommen wurde, darauf zu reagieren, daß etwa achtzig Prozent der Deutschen in den neuen Bundesländern kaum etwas vom christlichen Glauben gehört haben. Eigentlich liegt da ein großer missionarischer Auftrag. Das eigentliche Problem unserer Zeit ist jedoch der Individualismus. Ich halte ihn allerdings nicht per se für ein Übel, sondern verstehe ihn in erster Linie als Kennzeichen der Moderne. Die Welt von heute ist nun einmal so eingerichtet - gleichwohl liegt gerade darin eine große missionarische Herausforderung.

Auf die Sie wie reagieren?

Marx: Es trifft zu, daß wir nicht mehr weitermachen können wie bisher. Bevor man jedoch reagiert, muß man seine Truppen sammeln, und das braucht Zeit.

Vertut die Kirche diese Zeit nicht eher mit der Anpassung an zeitgeistige Tendenzen? Man erinnere sich etwa an den Auftritt des Dalai Lama auf einem Kirchentag.

Marx: Die Menschen betreiben heutzutage bevorzugt eine Art Flickenteppich-Religion. Man möchte schon etwas Verbindliches, aber bitte ganz unverbindlich. Und der Trend geht immer mehr vom Sein zum Design. Sarkastisch könnte man sagen, es gibt Leute, die suchen sich einen Gott, der zu ihren Möbeln paßt. Na ja, das hat dann nichts mehr mit Religion im eigentlichen Sinne zu tun, die schließlich den Menschen fordert. Und was den Kirchentag angeht: Mich hat es damals nicht gestört, daß der Dalai Lama dort aufgetreten ist, wohl aber, daß einige dies als den Höhepunkt dieses Kirchentages betrachtet haben.

Gibt es noch die christliche Identität des Abendlandes?

Marx: Nein, Identität ist ein schillernder Begriff. Kann zum Beispiel ein Volk eine Identität haben? Das ist doch schon beim Einzelnen schwierig. Natürlich bin ich immer dieselbe Person, aber bin ich wirklich noch der Mensch, der ich vor dreißig Jahren war? Und nun wollen Sie diese fragwürdige Konstruktion auf eine Gesellschaft übertragen? Sicherlich gibt es kulturelle Übereinkünfte, aber die müssen stets neu bestätigt werden, sonst ändern sie sich eben.

Die Christianisierung des europäischen Kulturkreises war einmal der Kampfauftrag der Kirche. Jetzt rührt es Sie gar nicht, daß Europa für die christliche Sphäre Stück für Stück verlorengeht?

Marx: Religion kann nur wirken, wenn sie auch angenommen wird. Es nützt doch nichts, darüber ein großes Lamento anzustimmen! Natürlich werben wir um die Menschen, aber die Entscheidung muß nun einmal freiwillig sein, und das ist angesichts von modernen Phänomenen wie Materialismus oder der Ich- und Gegenwartsbezogenheit nicht einfach.

Der Verlust des Glaubens ist das eine Problem, das andere ist der Verlust der aus dem christlichen Glauben resultierenden Kultur, die nämlich auch viele Menschen teilen, die mit dem Glauben selbst nichts am Hut haben.

Marx: Da liegt in der Tat eine große Gefahr. Es ist uns leider kaum bewußt, daß wir diesbezüglich in einer Art Zeitverzögerung leben. Noch speisen sich unsere Wertvorstellungen wesentlich aus dem christlichen Hintergrund Europas. Wenn aber der Glaube schwindet, dann schwinden über kurz oder lang auch die daraus resultierenden Werte.

Selbst mancher Priester läßt heutzutage den Zweifel aufkommen, er selbst glaube bereits nicht mehr an Gott.

Marx: Dieses Phänomen will ich gar nicht leugnen - so etwas ist natürlich fatal. Aber auch Kirchenleute sind eben Kinder ihrer Zeit. Ich wurde zum Beispiel einmal in einem Gesprächskreis gefragt, wie wir die Jugend zurückgewinnen könnten. Ich antwortete mit der Gegenfrage: "Warum soll denn die Jugend zu euch kommen? Seid ihr gern katholisch? Geht ihr gern zur Messe? Verrichtet ihr gern eure Gebete? Seid ihr froh und stolz, daß ihr dazugehört?" Reaktion: Großes Schweigen.

Seit das Thema islamischer Fundamentalismus in aller Munde ist, ist es schick geworden, nonkonforme gläubige Christen als "christliche Fundamentalisten" zu titulieren.

Marx: In der Tat, mit diesem Etikett ist man inzwischen schnell zur Hand. Auch ich bin schon des Fundamentalismus geziehen worden. Dieser Vorwurf ist zumeist ein Schlagwort.

Droht gläubigen Christen eine zunehmende gesellschaftliche Stigmatisierung?

Marx: Das ist nicht auszuschließen, die Verantwortung dafür liegt aber bei beiden Seiten. Denn es gibt natürlich auch christliche Fundamentalisten. Andererseits nehmen die Vorurteile gegenüber gläubigen Christen in der Tat zu. Dabei hat gerade das Christentum schon immer versucht, Glauben mit Vernunft zu verbinden.

 

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