© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

Die Konfession des Anarchen
"Die Wirklichkeit des Göttlichen ist für mich unleugbar": Warum Ernst Jünger Katholik wurde
Manfred Müller

Was mich angeht, fühle ich mich nach dem Beispiel meines Vaters unfähig, einer positiven Konfession oder Religion anzugehören." Dies sagte der hundertjährige Ernst Jünger am 15. Oktober 1995 im Gespräch mit seinen italienischen Übersetzern Antonio Gnoli und Franco Volpi. Am 26. September 1996 konvertierte der evangelisch getaufte Jünger in der Kirche Sankt Johannes Nepomuk in Wilflingen zum Katholizismus, bekannt wurde dieser Übertritt zur römisch-katholischen Kirche aber erst 1998 nach der Beisetzung Jüngers.

Die späte Konversion dieses Autors rief Verwunderung hervor. Sie wurde von der Amtskirche und der katholischen Publizistik weithin mit Schweigen übergangen, wohingegen man in früheren Jahrzehnten um Konversionen deutscher Schriftsteller (Hugo Ball, Sigismund von Radecki, Werner Bergengruen, Gertrud von de Le Fort) viel Aufhebens gemacht hatte.

Wer Jüngers Spätwerk nach Auffassungen sichtet, die streng katholischer Lehrmeinung zufolge Häresien sind, wird schnell fündig. Andererseits zeigt sich sehr bald, daß Jünger nicht wie sein Vater "vollkommener Atheist und Darwinist" war (bei gleichzeitiger formeller Zugehörigkeit zur evangelischen Konfession). Im Gespräch mit den beiden Übersetzern betonte Jünger: "Die Wirklichkeit des Göttlichen ist für mich unleugbar, aber sie ist auch schwer zu definieren und zu benennen ... Für mich gibt es in der Natur, im Kosmos eine göttliche, geheiligte Dimension."

Kritische Pfeile gegen das Zweite Vatikanische Konzil

Alexander Pschera hat im vergangenen Jahr (Vatican-Magazin 5/07) Jüngers Konversion in den Zusammenhang des postmodernen und postmythischen Denkens gerückt und ist auf das vielfältige mythologische Bezugssystem Jüngers eingegangen. Manches davon ist auch für einen glaubenstreuen Katholiken annehmbar, anderes dagegen scheint dem Wesenskern des katholischen Glaubens zu widersprechen. Es fragt sich, ob Jünger mit diesen Abweichungen bei seiner Konversion gebrochen hat.

Nirgendwo findet man bei Jünger ein Bekenntnis zu dem einen Gott in drei Personen entsprechend der katholischen Lehrtradition. Auch in dem nach der Konversion veröffentlichten letzten Tagebuch ("Siebzig verweht V") bestritt Jünger ausdrücklich die Göttlichkeit Jesu. Auf Reisen in andere Kulturräume fühlte dieser Autor sich angesprochen, wenn er entdeckte, daß die religiöse Verehrung "tief unter die mono- und polytheistischen Gestalten" hinabreichte. Zugespitzt ausgedrückt: "Noch heute fühlen wir uns in den Wäldern tiefer angesprochen, stärker erinnert als im Dom." Den Anspruch einer alleinseligmachenden Kirche (den das Zweite Vatikanische Konzil etwas relativierte) akzeptiere Jünger nicht: "Wo das Heil, wie in den Religionen des Nahen Ostens, vom Bekenntnis abhängt und monopolisiert ist, wird auch das Universum angekränkelt und parzelliert."

Über die Letzten Dinge kann man bei Jünger manches lesen, was sich mit der katholischen Lehrmeinung in Übereinstimmung bringen läßt. Aber weder Jüngers Festhalten an der Allerlösungslehre (nach Origines) noch die Annahme, im Tode des Menschen verlösche die Personalität (Überführung in den Typus), sind rechtgläubig im streng katholischen Sinne.

Durch die Lektüre eines Buches von Joris-Karl Huysmans wurde in Jünger nach dem Ersten Weltkrieg "eine flüchtige, vielleicht auch in der Erbanlage begründete Neigung für den Katholizismus erweckt" (Jüngers Mutter war römisch-katholisch). An der katholischen Kirche schätzte Jünger die Überforderung heidnisch-antiker Elemente, die im Protestantismus durch die Reformatoren weitgehend ausgemerzt worden waren. Der eifrige Leser der Heiligen Schrift und der Kirchenväter hielt wenig von der modernen Theologie beider Konfessionen. Ihm war "der Hauptteil der Theologie ein reiner Streit um Namen und Benennungen".

Für noch schlimmer hielt er, daß die moderne Theologie sich in Soziologie und Psychologie aufzulösen trachtete. Wirkliche Lebenshilfe komme von Zeitgeist-Theologen kaum noch: "Die Todesfurcht wächst. Schuld daran tragen außer den platten Materialisten, die es immer gegeben hat, auch die entmythologisierenden Theologen, die das Jenseits abbauen, ohne die Armen dafür zu entschädigen." Kritische Pfeile richtete Jünger auch gegen bestimmte Ergebnisse des II. Vatikanums. Etwa gegen die Zurückdrängung der lateinischen Kultsprache ("Selbst die Messe wird nationalisiert") oder gegen die Zusammenstreichung des Heiligenkalenders, sofern Heilige nicht geschichtlich nachweisbar sind ("Dichtung durch Wissenschaft kastriert").

Letztlich wurde Jüngers Haltung zu Konfession und Kirche durch seine Auffassung vom Anarchen bestimmt, die auf unbedingte innere Freiheit abzielt. Der Anarch bestimmt, "was als Sakrament zu gelten hat, und das Ritual, in dem es vollzogen wird". Er nimmt an kultischen Handlungen teil, "falls es ihm beliebt". Für ihn kann es sinnvoll sein, daß er sich "einem der Kulte anschließt und ihn ernst nimmt - bestimmte Regeln zu befolgen, bringt inneren und äußeren Gewinn".

Da Jünger seit 1950 in dem katholisch geprägten Wilflingen (Oberschwaben) lebte, lag es nahe, daß der nominelle Protestant sich dem örtlichen Katholizismus annäherte und, wie man seinem Tagebuch entnehmen kann, gelegentlich an der katholischen Liturgie teilnahm. Besonders beeindruckend waren für Jünger die katholische Totenliturgie und der katholische Totenkult. Am 29. Juni 1968 notierte er: "Der Nachbar ist gestorben ... Vor dem Hoftor segnet der Pfarrer die Leiche aus. Er legt Weihrauch auf die glühenden Kohlen, sprengt Weihwasser aus dem Wedel, schlägt das heilige Zeichen mit dem Vortragekreuz. Dann wird der eichene Sarg auf den Wagen gehoben und mit Kränzen umstellt. Der Bauer hieß Reck; er fährt wie ein Wiking zwischen den bunten Schilden von der Hofstelle ..." Ähnlich eindringlich sind die weiteren Notizen über dieses Begräbnis. So wollte auch Jünger einmal begraben werden. Ihn faszinierte das Sakrale des katholischen Ritus.

Für die Neigung zum katholischen Kosmos lassen sich in Jüngers Leben und Werk zahlreiche Anhaltspunkte ausmachen, wie man auch den im vorigen Jahr erschienenen Biographien von Helmuth Kiesel und Heimo Schwilk entnehmen kann, und zumal Schwilk hat sehr feinfühlig das persönliche Glaubensbekenntnis zu deuten versucht, das Jünger in Gedichtform und verschlüsselt am 1. August 1991 und in modifizierter Form am 2. Mai 1992 in sein Tagebuch geschrieben hat. Es endet mit den Worten "Amen Dank". Für Jünger war damit alles gesagt.

Aber mit einer Konversion noch im hohen Alter hatte wohl kaum jemand gerechnet. Dieser Übertritt war keine volle Hinwendung zur katholischen Religion; das Credo wird er mit einer reservatio mentalis gesprochen haben. Jünger bleibt auch als Katholik ein Anarch.

Foto: Ernst Jüngers Sarg wird am 21. Februar 1998 von einem Pferdegespann zur Beisetzung auf den Friedhof in Wilflingen gebracht: "Bestimmte Regeln zu befolgen, bringt inneren und äußeren Gewinn"

 

Spenden für Ernst-Jünger-Haus

Die Ernst-Jünger-Stiftung hat nach Angaben des Deutschen Literaturarchivs in Marbach erste Spenden für das sanierungsbedürftige Ernst-Jünger-Haus in Wilflingen und die Gedenkstätte im ehemaligen Jüngerschen Wohnhaus erhalten. Zur Rettung der Hauses sind sowohl Spenden als auch Zustiftungen möglich. Spenden nutzen der Stiftung, um den laufenden Unterhalt oder notwendige Baumaßnahmen mitzufinanzieren. Zustiftungen erhöhen langfristig den Kapitalsockel der Stiftung und garantieren, daß die Betriebskosten der Gedenkstätte auch in Zukunft gedeckt werden können.

Konto der Ernst-Jünger-Stiftung (bitte den Verwendungszweck angeben): Kreissparkasse Biberach, BLZ 654 500 70, Kontonummer: 20925.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen