© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/08 15. Februar 2008

Der Seismograph
Wiexderkehr eines Verfemten: Warum Ernst Jünger plötzlich wieder aktuell ist
Thorsten Hinz

Der Sturm, der Ernst Jüngers Werk durchweht und uns aus ihm entgegenbraust, stammt nicht aus dieser Zeit. Er kommt, um einen Satz Hannah Arendts über Heidegger zu zitieren, "aus dem Uralten". Deshalb ließ Jüngers Jahrhundertgestalt sich nie in den bundesdeutschen Kultur- und Geistesbetrieb einfügen und kann auch postum nicht von ihm reklamiert werden.

Dieser Vorzug des einen wird zum Menetekel für den anderen. Mehr denn je erscheint Jünger als ein mahnender Artefakt aus vorliberalen Zeiten, deren Geist (im politisch-korrekten Neudeutsch: "Ungeist") überwunden ("bewältigt") zu haben zum kulturellen und politischen Selbstverständnis dieser Gesellschaft gehört. Die Kultur- und Bewußtseinsindustrie, die ihre lange praktizierte Ignoranz ("Ausgrenzung") gegenüber Jünger als Ausweis demokratischer Emanzipation und geistiger Hygiene feierte, kann nicht länger bemänteln, daß es in Wahrheit ein Akt der Feigheit, ein Wegducken vor besagtem Sturm war, begangen im Bewußtsein eigenen Ungenügens.

Eine Gesellschaft, die den lizensierten Querdenker als Heroen feiert und mit dem Zertifikat der "Zivilcourage" versieht, obwohl er die marktgängige Affirmation nur ein wenig raffinierter betreibt als der normale, demokratische Mitläufer, mußte sich von dem Waldgänger Ernst Jünger, der seinen Begriff von Wahrheit und Moral nicht aus "von Parteijuristen ausgeheckten Gesetzen" ableitet, sondern dazu selber "aus den noch nicht in die Kanäle der Institutionen verteilten Quellen" hinabstieg, in ihrer Bodenlosigkeit und ihrem schwächlichen Opportunismus erkannt und angegriffen fühlen.

In beiden deutschen Nachkriegsstaaten fiel Intellektuellen und Künstlern die Aufgabe zu, die jeweilige staatliche Neugründung intellektuell nachzuvollziehen und sie dadurch geistig-kulturell zu legitimieren. In der DDR ging es dabei recht brutal zur Sache, analog zur Brutalität des politischen Projekts: die Einordnung des östlichen Teilstaates samt seiner unwilligen Bevölkerung in das sowjetische Imperium. Was in Kultur und Wissenschaft nicht auf einen eng gefaßten Fortschrittsbegriff zu bringen war, wurde als reaktionär ausgeschieden.

Im Westen verfuhr man pluralistischer und sanfter, aber nicht weniger zielstrebig: Durch die Besetzung von Positionen im Kultur-, Medien- und Bildungswesen, Preisverleihungen, die Ausschreibung neuer Lehrstühle und Studienreisen wurde eine neue Kulturintelligenz in eine hegemoniale Position gehievt, die ihren Ehrgeiz daran setzte, Westdeutschland an einen ideal gedachten Westen anschlußfähig zu machen und die noch dort, wo sie in Widerspruch zur westlichen Vormacht geriet, dies im Namen der von ihr proklamierten Werte tat. Diese Hegemonie schloß die Zurückdrängung geistig-kultureller Traditionsbestände ein, die durch Namen wie Schmitt, Gehlen oder etwa Jünger repräsentiert wurden. Die Folgen sind schlimmer als in der DDR, die sich immerhin als Fortsetzung der deutschen Geschichte begriff. Im Westen ist es gelungen, den Geschichtsraum vor 1945/33 in einen entfremdeten Bereich zu verwandeln.

Jünger, weil er von der Innenseite des Krieges berichtet hatte, wurde als Kriegsverherrlicher entsorgt, dem es an Opferempathie ("Betroffenheit") mangelte. Nun hätte es selbst Pazifisten nachdenklich stimmen können, daß Jünger die Zerstörung des Kriegerethos - das die Ritterlichkeit einschloß - im Weltbürgerkrieg schärfer als andere registriert hatte. Doch statt über die Konsequenzen nachzudenken, die sich daraus in einer anhaltend kriegerischen Welt für die eigene politische Existenz ergaben, wurde der Seismograph aus Furcht vor dem Erdbeben zerschlagen. Damit aber trug das neue Kulturmilieu trotz der überwältigenden Hegemonie von Anfang an Elemente der Schwäche, Unaufrichtigkeit und Unschärfe in sich, die nun beherrschend hervortreten.

Um ein aktuelles Beispiel zu nennen: Die deutschen Funktionseliten sind intellektuell damit überfordert, sich zum Afghanistan-Einsatz in der einen oder anderen Weise zu erklären und den jeweiligen Entschluß überzeugend zu vertreten. Sie schwanken zwischen Zerknirschung, naivem Pazifismus und vasallenhafter Lehenstreue. Das ist nicht nur ein persönliches, sondern ein strukturelles Problem: Das bundesdeutsche Vokabular ist eben nicht hinreichend, um eine politische und militärische Handlungsethik zu formulieren. Der Hauch früher Endlichkeit liegt über dem, was sich in der Bundesrepublik als geistig-kulturelle Identität herausgebildet hat!

Deshalb wirkt auch der Bann nicht mehr, den ihre Bewußtseinsindustrie über Jünger gelegt hatte. Die Geschichte selbst hat ihn ins Recht gesetzt. Sie hat sich keineswegs davon beeindrucken lassen, daß Deutschland ihren 1989 ausgesandten Rückruf überhörte. Da es weder willens noch in der Lage ist, sich in ihr als Subjekt zu behaupten, findet es sich nun eben - auch im Innern - zum Objekt selbstbewußterer und stärkerer Akteure degradiert wieder. Widerlegt sind damit die Annahmen, man könne Staat, Nation, Gesellschaft in einem aseptischen Labor neu erfinden, ihr Zusammenhalt lasse sich allein durch Sozialtechniken und kommunikatives Handeln - den praktizierten Zusammenhang zwischen eingehaltenen Diskursregeln und den Prinzipien rechtsstaatlicher Demokratien - garantieren. Reines Wunschdenken war die Hoffnung, der Ewige Friede würde dadurch erreicht, daß man den anderen die eigene Harmlosigkeit demonstriert. Um diese ideologischen Gespinste zu durchhauen, braucht es Instrumente, die einem - unter anderem - von Ernst Jünger in die Hand gegeben werden. Daher seine Renaissance.

Vor zehn Jahren haben sich Leben und Werk Ernst Jüngers vollendet. "Alles Vollendete fällt / heim zum Uralten", heißt es bei Rilke: nicht um zu verschwinden, sondern um von dorther stets aufs neue seine Reise durch die gewandelten Zeiten anzutreten.

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