© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

"Damals nach dem Krieg": Ein ARD-Vierteiler der besonderen Art
Emotional und unverstellt
Michael Hofer

Menschen erzählen ihre Geschichte. Authentisch, emotional, unverstellt." Mit diesen Worten kündigt der ARD-Chefredakteur Thomas Baumann die Marschrichtung des neuesten Wurfs in der "Geschichtsfilm"-Welle der letzten Jahre an. Der Trend bewegt sich weg von der "Bewältigung", hin zur Emotionalisierung und Subjektivierung der "großen" Geschichte aus der Perspektive der "kleinen Leute" und Durchschnittsmenschen.

Die vierteilige ARD-Dokumentation "Damals nach dem Krieg" vermischt nach bewährtem Rezept historischen Kommentar mit kurzen Spielszenen, die die Erzählungen der Protagonisten illustrieren. Doch anders als üblich dienen die Interviews nicht dazu, der historischen Aufklärung Fleisch und Blut zu geben, sondern haben umgekehrt gegenüber dieser Priorität. Einfühlsamkeit tritt an die Stelle von Moralisierung und Volkspädagogik.

Diese Kombination aus Archivmaterial, Spielfilm und Interview hat sich als sehr erfolgreich und nicht zuletzt als äußerst kurzweilig erwiesen. Die Filmemacher haben faszinierendes, selten gezeigtes Bildmaterial zutage gebracht. Das Spektrum der kaleidoskopartig präsentierten Schicksale beinhaltet unter anderem Trümmerfrauen und -kinder, Kriegsheimkehrer und Kriegsgefangene, eine im befreiten Bergen-Belsen eingesetzte Krankenschwester, eine entnazifizierte Deutschnationale oder eine Kriegswaise aus Königsberg, die die Nachkriegszeit in einem russischen Auffanglager für Kinder verbrachte.

Erstaunlich ist der ausgeprägte Wille zur Differenzierung und zur Hinterfragung von Klischees. Alliiertes Propaganda- und Wochenschaumaterial wird nach seinem historischen Kontext abgeklopft. Sieger und Besiegte hatten gleichermaßen die Feindbilder der Kriegsjahre im Kopf, die sie nun angesichts des realen menschlichen Kontaktes revidieren mußten. Kritisch beleuchtet werden zudem auch die US-amerikanischen und sowjetischen Entnazifizierungen. Die Praxis in der Ostzone, die Säuberung von "Faschisten" ohne Prozeß und häufig allein aufgrund von Denunziationen in NKWD-Lagern durchzuführen, wird unmißverständlich kommentiert: "Altes Unrecht wird durch neues ersetzt".

In keiner Minute läßt der Film einen Zweifel daran, daß die Deutschen von 1945 alles andere als "Befreite", sondern gedemütigte Besiegte waren, die sich der absoluten Herrschaft der Sieger zu unterwerfen hatten. Freilich hätte die Bilanz des nach dem Krieg erfahrenen Unrechts auch schärfer ausfallen können. Andererseits wird auch nicht allzusehr in das Horn "deutsche Verbrechen" gestoßen, wie das sonst üblich ist. Ein enormes Defizit dieser verdienstvollen Dokumentation ist allerdings, daß die Vorgänge in den deutschen Ostgebieten nahezu völlig ausgeblendet werden.

Eindrucksvoll kommt dagegen die unglaubliche Aufbauleistung der Deutschen nach dem Krieg zum Ausdruck. Der zähe, pragmatische Aufstieg aus Hunger und Verzweiflung beeindruckte auch den sowjetischen Propagandaoffizier Alexander Galkin: "Die praktischen Deutschen hatten es innerhalb von nur zwei Monaten geschafft, zur Tagesordnung überzugehen." Das imponiert um so mehr, als viele Städte nach dem Krieg geradezu "pulversisiert" waren, wie der Film betont.

Auffallend ist, daß die ausgewählten Zeitzeugen vor allem Frauen sind oder Menschen, die zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs Kinder waren. Die deutschen Männer sind so gut wie abwesend  (wohl auch, um deren Kriegserfahrung nicht zu problematisieren). Galkin und der Amerikaner Robert Wolfe hingegen sind in allen Teilen des Films stark präsent und verkörpern stellvertretend die Architekten der Nachkriegsordnung, so daß die deutsche Perspektive der "kleinen Leute" doch wieder stark zur Sicht der Sieger hin korrigiert wird. Gleichzeitig wird jedoch deren Sichtweise, die sich allgemein durchgesetzt hat, historisiert und damit relativiert.

Anhand der Geschichte des GI Mickey Dorsey wird auch die Zäsur bewußt, mit der Deutschland sozusagen "entmannt" wurde: Wie die meisten GIs hielt er sich nicht an die Propagandafilme, die den US-Soldaten untersagten,  mit den "dämonischen" Deutschen zu fraternisieren, in denen ja doch immer noch der Werwolf schlummere, sondern nahm bald Beziehungen zu den "Fräuleins" auf, die für "Schokolade und Nylonstrümpfe" zu haben waren. Wenn nun auch oral history-Produktionen wie "Damals nach dem Krieg" die deutsche Perspektive zurückgewinnen, dann geschieht das immer noch unter den Blicken der Väter der Nachkriegsordnung.

Nichtsdestotrotz ist der Vierteiler überaus sehenswert. Der erste Teil, der in der ARD am 11. Februar um 21 Uhr ausgestrahlt wird, beginnt mit dem heißen "Jahrhundertsommer" 1945 inmitten von Ruinen, der dem unsagbaren Alptraum der vorgehenden Jahre folgte. Die weiteren, bis 1949 reichenden Teile sind in wöchentlichem Intervall bis 3. März zu sehen.

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