© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

Nichts Endgültiges vorzuweisen
Die Dresdner Kommission zur Bestimmung der Dresdner Opferzahlen muß weiterforschen / Neue Kritik an Bombenkriegsstrategie in Kanada
Hans Joachim von Leesen

Vor mehr als drei Jahren setzte der damalige Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg eine Kommission von Historikern ein, die unter dem Vorsitz des Wissenschaftlichen Direktors am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Rolf Dieter Müller, ermitteln sollte, wie viele Opfer die britischen und amerikanischen Luftangriffe auf Dresden am 13./14. Februar 1945 wirklich gekostet haben.

Eine lange Zeit ist seitdem verstrichen, ohne daß die Öffentlichkeit prüfbare und belegte Ergebnisse erfahren hat. Zwischendurch entzog die Ratsversammlung der Landeshauptstadt der Kommission sogar die Gelder. Ab und an meldete sich der Vorsitzende Müller mit angeblichen Zwischenergebnissen, deren Basis man nicht erfuhr und die darum von vielen angezweifelt wurden. In den ersten Monaten 2007 wurde endlich verkündet, daß bis Ende 2007 die Kommission ihren Bericht abgeschlossen haben soll, der dann 2008 zu veröffentlichen sei (JF 10/07).

Auf Anfrage teilte soeben der statt des suspendierten Roßberg amtierende Oberbürgermeister Lutz Vogel mit, "daß die Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind und voraussichtlich bis weit in das Jahr 2008 hineinreichen werden". Müller bekundete dagegen die Absicht, seinen Abschlußbericht im Rahmen der 47. Deutschen Historikertage, die Ende September 2008 vom Institut für Geschichte der Technischen Universität Dresden ausgerichtet werden, der Öffentlichkeit zu übergeben. Ansonsten hielt sich der Vorsitzende der Kommission das ganze letzte Jahr gegenüber der Öffentlichkeit mit der Verlautbarung weiterer "Zwischenergebnisse" zurück. 

Offenbar hatte die Kommission erkannt, wie schädlich Müllers Vorpreschen war - nicht zuletzt, weil er immer wieder behauptet hatte, höhere Opferzahlen als 25.000 plus zwanzig Prozent seien "Goebbels-Propaganda", obgleich offizielle deutsche Stellen während des Krieges keine einzige Totenzahl veröffentlich hatten. Im vergangenen Frühjahr drang nur an die Öffentlichkeit, daß bis dahin eine damals offenbar von der Polizei geführte "Totenkartei", der der Historiker Rüdiger Overmans eine hohe Qualität bescheinigte, erst zu zehn Prozent ausgewertet war. Nun wolle man die gründliche Erschließung angehen.

Weiter war immer noch ungeklärt, ob es die von zahlreichen Zeitzeugen behaupteten Tieffliegerangriffe auf die flüchtende Zivilbevölkerung wirklich gegeben habe oder ob sie, wie manche Nachkriegshistoriker behaupteten, lediglich Phantasieprodukte waren.

Das Thema Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung führt immer noch zu heftigen Auseinandersetzungen vor allem in Großbritannien und jetzt auch in Kanada. Nach Erscheinen der englischsprachigen Ausgabe von Jörg Friedrichs "Der Brand", bezeichnenderweise nicht in einem britischen, sondern einem US-Verlag, entwickelte sich in Großbritannien eine leidenschaftliche Diskussion. Friedrich wurde der Lügen und der unbotmäßigen Gleichsetzung verbrannter deutscher Zivilisten mit verbrannten Juden geziehen; man rechtfertigte Dresden mit den kriegsbedingten Zerstörungen in Warschau und Leningrad (JF 17/07). In Kanada, das im Rahmen der Commonwealth-Luftwaffe in großem Umfang am Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung teilgenommen hatte, löste eine Texttafel im Kriegsmuseum in Ottawa heftige Proteste vor allem der  kanadischen Veteranenverbände aus.

Die ehemaligen Soldaten betrachteten den Titel einer Erläuterungstafel zum Luftkrieg "Eine andauernde Kontroverse" als Nestbeschmutzung und wehrten sich gegen die Auffassung des Museums, das die moralische Berechtigung des Luftkrieges gegen Frauen und Kinder bezweifelte. Zwar mußte das Museum unter dem Vorwurf, "unpatriotisch" zu sein, seine Schrifttafeln ändern, doch setzt jetzt Randell Hansen, Politikwissenschaftler an der Universität von Toronto, mit seinem Buch "Fire and Fury: The Allied Bombing of Germany 1942-1945" nach. Er stellt die militärische Nutzlosigkeit des Flächenbombardements von Wohnvierteln in den Vordergrund und bezeichnet es als Kriegsverbrechen. Damit folgt er der Auffassung des englischen Philosophen Anthony Grayling aus dessen Werk "Die toten Städte" (JF 17/07) sowie des deutschen Politikwissenschaftlers und Philosophen Lothar Fritze in "Die Moral des Bombenterrors" (JF 31-32/07). Das Thema ist also lange noch nicht ausdiskutiert.

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