© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

Im Zickzack zum Sozialismus
Ein Treffen im Kreml und seine Folgen / SED-Agrarpolitik in den Frühjahren der DDR
Klaus Peter Krause

Im Kreml. Winter. Man schreibt den 18. Dezember 1948. Stalin und Molotow empfangen die SED-Abordnung aus Ost-Berlin: Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht und Fred Oelßner. Die vier waren gekommen, um sich Instruktionen über die Ziele der sowjetischen Deutschlandpolitik abzuholen. Auch hatten sie Moskauer Vorgaben für das weitere Vorgehen im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands  in Empfang zu nehmen. Ebenfalls dabei war Wladimir S. Semenow von der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD).

Im Herbst hatten SMAD-Politoffiziere die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) zu weitgehenden staatlichen Eingriffen in "privatkapitalistische Betriebe mit besonderer volkswirtschaftliche Bedeutung" ermuntert. Ebenso erwogen wurde, Betriebe mit mehr als fünfzig Beschäftigten zu verstaatlichen. Aber Stalin, so beschreibt Elke Scherstjanoi, Lehrbeauftragte am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin in ihrem Buch das winterliche Gespräch, reagiert heftig und erteilt den Enteignungsplänen eine Abfuhr.  Noch passen sie ihm nicht ins Konzept.  Ihm ist das zu vorschnell. Man dürfe nicht direkt zum Sozialismus gehen, sondern nur im Zickzack. Das heißt, die Absichten sind zu verschleiern. Pieck notierte, so liest man weiter, es dürfe keinesfalls das Mißverständnis aufkommen, "als ob wir alles enteignen". Man weiß, daß dies dann doch geschah. Später, im Februar 1950, notierte Pieck abermals: "Wir gehen zum Sozialismus - aber Zick-Zack. Wir sprechen nicht davon." 

Das Treffen und seine Folgen sind im zweiten Kapitel des Buches beschrieben. Es geht darin um die agrarpolitischen Vorgaben, die Entscheidungen, die Suche nach brauchbaren Institutionen und die bei der DDR-Gründung 1949 bestehenden ländlichen Strukturen. Zu den Institutionen gehören der Ausbau der Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS), Steuern und Abgaben, die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB), die Dorfgenossenschaft und der Landarbeiterschutz. Zu den Vorgaben lesen wir, daß Stalin den Fortbestand der großbäuerlichen Betriebe sichergestellt haben wollte - jedenfalls vorerst. Seine Anweisung lautete: "Auf dem Lande sind jene Großbauern, die Naturalabgaben leisten, nicht anzutasten." Nur im äußersten Fall sei Eigentum zu konfiszieren. Es gebe genug andere Mittel, sie unter Kontrolle zu nehmen. Aber die wirklichen Großbauern mit 100 Hek-tar und mehr waren zum Zeitpunkt jenes Spitzentreffens im Kreml bereits der sogenannten Bodenreform zum Opfer gefallen und existierten in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) schon nicht mehr.

Das Thema des Buches ist jedoch nicht die Bodenreform, sondern die ersten fünf  Jahre DDR-Agrarpolitik nach der Bodenreform. Gleichwohl hat die Autorin im ersten Kapitel ihres Buches auch die Agrarpolitik während der sowjetischen Besatzungszeit von 1945 bis 1948 dargestellt, die mit der Bodenreform beginnt. Doch beschränkt sie sich auf  die Entstehungsgeschichte, Ziele, sowjetische Vorgaben und strittige Fragen zu den Intentionen um diese Bodenreform, zum Beispiel: Entsprach sie (außerhalb der besatzungsrechtlichen Bestrafung von "Nazi-Aktivisten und Kriegsverbrechern") den wirtschaftlichen Erfordernissen der Nachkriegszeit? War sie der vorgeplante Anfang der Absicht  zur späteren Kollektivierung? Was davon geht auf  die sowjetische Besatzungsmacht zurück?

Nicht dargestellt wird die Bodenreform auch als ein Beschönigungsbegriff für die politische Verfolgung des kommunismusfeindlichen agrarischen Bürgertums mit den Gutsherren und Großlandwirten an der Spitze, also der "Kapitalisten auf dem Lande" und der dörflichen Oberschichten, die ihnen sozial und kulturell nahestanden. Immerhin war die Bodenreform weit mehr als bloße Umverteilung von Land, so daß die Verwendung des Wortes ohne Anführungsstriche oder ohne vorangestelltes "sogenannte" eine Maßnahme unzulässig verharmlost, die mit schweren Menschenrechtsverletzungen einherging und in Wirklichkeit ein grob rechtsstaatswidriges Verbrechen war. Aber nicht die Opfer und Rechtswidrigkeiten sind Gegenstand des Buches, sondern die politisch Handelnden jener Zeit, ihre Überlegungen, ihre Maßnahmen, ihre Einbindung in die Zeitverhältnisse.

Das Buch beschreibt die SED-Politik für die Agrarproduktion und die ländliche Gesellschaft während dieser frühen DDR-Jahre. Es beschreibt die Agrarentwicklung dort und deren politische Hintergründe, nachdem der erste soziale Umbruch auf dem Land als Folge der Bodenreform abgeschlossen war.  Im Mittelpunkt steht dabei der unterschiedliche Umgang mit den verschiedenen Schichten der Bauernschaft (Klein-, Mittel- und Großbauern). Das Buch beschreibt die agrarischen Verhältnisse als Gegenstand politischer Kooperation der herrschenden SED mit der Sieger- und Besatzungsmacht Sowjetunion.  Es beschreibt, wie die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) als Nachfolgerin der aufgelösten SMAD agrarpolitisch bestimmte gesellschaftliche Ziele verfolgte, und es arbeitet (nach Meinung der Autorin deutlicher als bisher geschehen) heraus, welche Ziele das waren.

Im dritten Kapitel liest man unter anderem von verlassenen Neubauernstellen, devastierten Betrieben und Flächen, von der Planung und dem Preissystem, von Großbauern und "Werktätigen Bauern", vom Angriff auf die Raiffeisen-Genossenschaften und Schauprozessen, von den sozialistischen Elementen Volkseigene Güter (VEG) und Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS) sowie über den Start in die Kollektivierung 1952 mit der Gründung "Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften  (LPG). Das vierte Kapitel behandelt den beschleunigten Aufbau von Sozialismus und Kollektivierung ab Sommer 1952, das Entstehen der Krise, Flucht und Protest der Bauernschaft  und den Kurswechsel nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953. Das abschließende Kapitel V enthält auf siebzehn Seiten eine Zusammenfassung.

Die Autorin schreibt mit wissenschaftlicher Kühle in breitester Ausführlichkeit, mit einem sorgfältigen Detail-Reichtum, der das durchgängige Lesen natürlicherweise erschwert. Das Buch ist daher mehr als Nachschlagewerk  geeignet, aber eine weitere wichtige Aufarbeitung jenes damaligen Geschehens, wenn auch mit zuweilen befremdlichen Schlußfolgerungen. Ein umfangreiches Verzeichnis mit Literatur, gedruckten und ungedruckten Quellen über erstaunliche 29 Seiten sowie ein Personenregister schließen das Buch ab. Beigefügt ist eine CD-ROM mit 26 Dokumenten und Dokumentenauszügen.

Elke Scherstjanoi: SED-Agrarpolitik unter sowjetischer Kontrolle  1949-1953. Veröffentlichungen zur SBZ/DDR-Forschung im Institut für Zeitgeschichte. R. Oldenbourg Verlag, München 2007, gebunden, 648 Seiten, 69,80 Euro

Foto: Kartoffelkäferplage in der DDR als US-Sabotage, Sachsen 1950: Beim Aufbau vom Sozialismus und der Kollektivierung darf das Feindbild nicht fehlen

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