© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/08 08. Februar 2008

Wieder bluten Unbeteiligte
Schaubühne Berlin: Dritter Teil der Deutschland-Saga
Harald Harzheim

Sechzig Jahre Deutschland. Annäherung an eine unbehagliche Identität", so nennt die Schaubühne ein zweijähriges Projekt, das 2009 - pünktlich zum 20jährigem Mauerfall - seinen Abschluß finden soll. Im vorigen Monat startete mit der "Deutschland-Saga" die erste Staffel. Diese Saga widmet jedem bundesdeutsche Jahrzehnt einen Abend, bestehend aus drei Kurzdramen. Nach den Fünfziger und Sechzigern kamen vergangene Woche "Die 70er Jahre" zur Premiere. Die drei Nachwuchsautoren Claudius Lünsted (geb. 1973), Philipp Löhle (geb. 1978) und Lorenz Langenegger (geb. 1980) dürften dieses Jahrzehnt kaum bewußt erlebt, sondern aus Sekundärquellen erschlossen haben. Und aller drei Kurzdramen identifizierten dieses Jahrzehnt mit der RAF.

Lünsteds Monolog "Freiburg" erzählt vom Alltag einer 18jährigen, deren Vater - ein ostpreußischer Flüchtling mit ungebrochener NS-Sympathie - das Postulat des Unauffälligseins hochhält. In der Schule KZ-Dokumentationen, zu Hause Schweigen. Das Wirtschaftswunder erscheint ihr als versteckter Anerkennungswunsch einer schuldgeplagten Nation. In diesem Kosmos des Schweigens und Duckens beginnt sie mit der RAF zu sympathisieren und emigriert nach Paris. Ein Flüchtling zuletzt, wie ihr Vater. Der Monolog reiht altbekannte Motive aneinander, ohne dem Thema neue Perspektiven abzugewinnen.

Ähnlich erging es der "Big Mitmache" von Philipp Löhle, wo ausgeflippte Jugendliche in ihrem Pflegeheim eine Terrorgruppe gründen. Der cholerische Anführer übt sich in Führer-Rhetorik, und die Pflegeschwester soll als Vertreterin "des Systems" ermordet werden. Terrorismus als Spiel von durchgeknallten Halbstarken? Ein Schenkelklopfer gewiß, aber ohne weitergehende Reflexion.

Die leistete erst Langeneggers "Überfall. Auf der Suche nach Edith Kletzhändler". Erzählt wird die Geschichte eines Banküberfalls durch die RAF, bei dem eine Kundin ums Leben kommt, dargestellt aus der (ungewohnten) Perspektive des Opfers. Der Terror drängt in den Alltag, läßt wieder Unbeteiligte bluten. Politische Embleme sind da austauschbar. Dem hinterbliebenen Ehemann bleibt nur die altbekannte und nutzlose Frage: Warum?

Insgesamt eine spärliche Ernte bei einem Themenkomplex, der seit dem 11. September 2001 und seinen Folgen wieder große Aktualität besitzt.

Nach der zweistündigen Aufführung gab es langanhaltenden Applaus für das Ensemble.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen