© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Therapie gelungen, Patient neurotisch
In eigener Sache: Das Berliner Hebbel-Theater arbeitet den Themenkomplex "Umerziehung" multimedial auf
Harald Harzheim

Amerikas re-education-Programm für das Nachkriegsdeutschland orientierte sich an einer Methode, die der New Yorker Psychiater Richard Brickner ("Is Germany Incurable", 1943) zur Behandlung Paranoider entworfen hatte. Diesem politischen Therapieprogramm hat das Berliner Hebbel-Theater am vorvergangenen Wochenende zwei Veranstaltungstage gewidmet, mit Filmen, Performances, Diskussionen, Vorträgen und Installationen. Das Hebbel-Theater, das in der Nachkriegszeit mit Dramen wie Sartres "Die Fliegen" (1948) wichtige Beiträge zur kulturellen Neuorientierung bot, spricht dabei auch in eigener Sache.

Wenn man die Parallele zwischen "Umerziehung" und Therapie ernst nimmt, dann muß sie - wie die klassischen Psychotherapien - mit der Bewußtmachung der Vergangenheit beginnen, um danach neue Lebenswege aufzuzeigen. Die Konfrontation mit der Vergangenheit suchte zum Beispiel der Kurzfilm "Die Todesmühlen" (1946), entstanden unter der Supervision von Billy Wilder. Das darin montierte KZ-Dokumentarmaterial hat seinen Schrecken bis heute nicht verloren. Er beklagt die Bereitschaft der Bevölkerung, sich dem absolut Bösen zu unterwerfen.

Da solche Filme beim Publikum nicht die gewünschte Identifikation hervorriefen, ging man bald zu zukunftsorientierten Streifen über. Als Beispiel dafür war "Frischer Wind in allen Gassen" (1951) zu sehen. Der spielt in der Ortschaft Ebersbach, wo die Kinder drei Tage pro Jahr an die Macht kommen, als Präventiv gegen vatergläubigen Untertanengeist.

Der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht zitierte schwedische Zeitungsartikel über die Stimmung im Nachkriegsdeutschland vor der re-education: Danach hätten sich ältere und jüngere Menschen gegenseitig die Schuld an der Misere zugeschoben.

Die Kuratorin Stefanie Wenner erweiterte das Thema auf die Umerziehungsversuche der USA in Vietnam oder im Irak. Rabih Mroués Drama "How Nancy wished that everything was an April fool's joke" zeigte eine umgekehrte Situation: Der Libanon-Krieg soll in Beirut nicht im Gedächtnis behalten, sondern vergessen werden. Aber das gelingt nicht. Die Toten kommen immer wieder (auf die Bühne) zurück.

Viele Beiträge waren eher assoziativ angelegt. So Francesco Vezzolis Trailer zu einem imaginären Remake von Gore Vidals Monumentalporno "Caligula" (1980), das die Erotik von Macht und Grausamkeit persifliert.

Der Berliner Medienwissenschaftler Friedrich Kittler betonte, daß die re-education im Nachkriegsdeutschland keine primär juristische, sondern eine psychiatrische war. In diesem Fall ist ihr Wert eigentlich nur durch die Beantwortung folgender Frage zu verifizieren: Wäre Deutschland 1945 in der Lage gewesen, sein Trauma mit Hilfe der eigenen - zwölf Jahre lang korrumpierten - Kultur selbst therapieren? Oder war dazu die Adaption einer anderen Kultur unabdingbar?

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