© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Tod einer Lebedame
Das Mädchen Rosemarie: Ein "deutscher Skandal", dem Christian Steiger keine neuen Seiten abgewinnt
Olaf Kübler

Im März 1957 wurde mit den Römischen Verträgen die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft aus der Taufe gehoben. Brüssel mußte nun von deutschen "Wirtschaftskapitänen", wie Manager damals noch hießen, häufiger angesteuert werden. Da traf es sich gut, daß die Bundesbahn im Sommer 1957 einen neuen Luxuszug, den futuristisch kühnen TEE, auf die Strecke schickte. Der TEE von Frankfurt nach Brüssel fuhr bis Ostende durch und bot daher auf dem Rückweg zum Main den "Herren" frisch an Bord genommene Seezungen zu eiskaltem Bordeaux an. Noch Jahrzehnte später, in ihren Kronberger Villen und Seniorenresidenzen, schwärmten die Teilnehmer von der Atmosphäre dieser Tafelrunden.

Mit dem Kulinarischen blieb aber auch die Erinnerung an das den Winter 1957/58 monatelang dominierende Gesprächsthema, den Mord an der Frankfurter Prostituierten Rosemarie Nitribitt, haften. Man hatte die "Lebedame" gekannt, aber selbstredend, da "glücklich verheiratet", nur "vom Sehen". Doch immerhin so gut, daß mehrheitlich die Überzeugung vorherrschte, nur jemand aus den eigenen Kreisen, aus der gutsituierten Kundschaft der im teuren Mercedes 190 SL auf Männerfang gehenden "Edelhure", komme als Täter in Frage.

Da die Nitribitt wie viele "kleine Leute" einen Sicherheitstick hatte und sich auf Gold als Kapitalanlage kaprizierte, favorisierten die mit Frankfurter Personalia bestens vertrauten Hobbydetektive zunächst Tatverdächtige aus dem Goldhändlermilieu der Kaiserstraße. Schneller als die Polizei erörterte man im TEE sodann verdächtigte Exponenten der Schickeria, die von Beruf "Erbe" waren, etwa Harald von Bohlen und Halbach, den Goebbels-Stiefsohn Harald Quandt, die Brüder Gunter und Ernst-Wilhelm Sachs oder den "Herrenfahrer" Huschke von Hanstein, die als Nitribitt-Kunden dann auch tatsächlich ins Visier der in diesem "heiklen" Umfeld allerdings sehr "diskret" ermittelnden Kriminalbeamten gerieten.

Am Ende saß aber 1958 niemand von der Hautevolee auf der Anklagebank des Frankfurter Landgerichts, sondern der bisexuell-schmierige Nitribitt-Freund Heinz Pohlmann, der nach einigem juristischen Gezerre mit einem Freispruch davonkam. Ihr Mörder wurde nie gefaßt, und die Tat bestätigt, daß es perfekte Verbrechen wohl doch gibt.

Für Christian Steiger ist dies nur ein Aspekt des "deutschen Skandals", dessen "Autopsie" er zu liefern verspricht. Skandalös sind für ihn die schlampige Spurensicherung der Polizei, die "schonende" Leichtfertigkeit, mit der sie gegen die "Erben" ermittelte, die Voreingenommenheit von Polizei und Justiz, die sich zu früh ganz auf Pohlmann konzentrierten, die scheinheilige Entrüstung der Presse über die "moralische Verkommenheit" der Bonner Führungsschicht. Der größere Skandal, den Steiger im Auge hat, bleibt in seiner Darstellung freilich im Nebulösen. Denn daß die frühe BRD in diesem Mordfall wie in einem Brennglas ihr "wahres Gesicht" als "Klassengesellschaft" samt "Klassenjustiz" zeige, daß sich in Adenauers mental im 19. Jahrhundert steckengebliebenem Bonner Teilstaat ein Abgrund an "Sexualfeindschaft" auftue, das blitzt bei Steiger als Ressentiment zwar auf, erfährt aber nicht die verheißene sozial- und mentalitätshistorische Fundierung. Ob die wortreich bejammerte Prüderie und Bigotterie der angeblich "dumpfen Fünfziger" nicht auch Widerstandslinien gegen die sich ankündigende "Pornoisierung" der Gesellschaft zogen, erwägt der nur Defizite an "Aufklärung" registrierende Steiger hingegen nicht.

Rosemarie Nitribitt, als eines der ersten Kinder des Dritten Reiches am 1. Februar 1933 unehelich in Düsseldorf geboren, bei Pflegeeltern in der Eifel aufgewachsen, 1944 von einem Wehrmachtssoldaten vergewaltigt, mit vierzehn Jahren "auf dem Strich", gölte heute als "Problemkind" aus dem "Prekariat" und könnte im Unterschichten-TV reüssieren. Erklärungsbedürftig ist daher weniger der nahezu determinierte "Karrierestart" im Frankfurter Bahnhofsviertel als ihr wundersamer "Aufstieg" zur Gespielin der Krupps und Quandts. Zumal bei einer Frau, die sich durch Sprach- und Benimmunterricht zwar etwas Kinderstube antrainierte, die aber vom Schönheitsideal der Fünfziger, einer Grace Kelly etwa, doch sternenweit entfernt war und die nie ihren Ruf als unappetitlich-ordinäre Erpresserin verlor.

Offenbar hat sie auch Ende Oktober 1957 ihr verstecktes Tonband eingeschaltet, als sie ihren Mörder erwartete. Daß sie dabei ein richtig großes Rad gedreht hat, als Industriespionin und Protektionskind ausländischer Geheimdienste, die sie dann als lästige Mitwisserin beseitigten, wie dies die auf Erich Kubys reißerische Deutung des Mordes basierenden filmischen Adaptionen über "Das Mädchen Rosemarie" mit Nadja Tiller (1958) und Nina Hoss (1996) suggerieren, will Steiger eher unter "Räuberpistolen" abbuchen.

Die Herkunft der - 1956! - fabulösen 18.000 Mark, die sie in den 190 SL als "Betriebskapital" investierte, wie die der in drei Jahren schwerlich im (Bei-) Schlaf zu erwirtschaftenden 120.000 Mark, die sie auf der "hohen Kante" hatte, ist aber kaum allein mit unternehmerischen Energien dieser außergewöhnlich quirligen Ich-AG zu erklären, auch wenn sie weder Zuhälter noch Finanzamt am Umsatz beteiligte.

Da Steiger solchen Ungereimtheiten nicht nachgeht oder wie im Falle Quandt wegen "verschwundener" Ermittlungsakten nicht mehr nachgehen kann, erschöpft sich der "Skandal" bei ihm im so trivialen wie metahistorischen Befund, daß reiche Männer ihren Geschlechtstrieb auch zu Adenauers Zeiten gern außerehelich befriedigten und andere Männer im "Schadensfall" dafür sorgten, daß dies geheim blieb.

Christian Steiger: Rosemarie Nitribitt. Autopsie eines deutschen Skandals. Heel Verlag, Königswinter 2007, gebunden, 190 Seiten, ca. 70 Abbildungen, 19,95 Euro

Foto: Rosemarie Nitribitt in ihrer Wohnung: Gespielin der Hautevolee

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