© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Mit Worten müssen wir uns wehren
Identität & Integration: Die Linke hat vorgeführt, wie Herrschaft durch Sprache zu brechen ist / Zweite Folge
Karlheinz Weissmann

Die Feststellung Hermann Lübbes, daß in "der modernen Gesellschaft Politik in wachsendem Maß Handeln durch sprachliche Mittel" bedeutet, ist mehr als dreißig Jahre alt. Sie entstand im Zusammenhang mit der damals aktuellen Wahrnehmung von einflußreichen Gruppen, denen es gelungen war, Begriffe neu zu schaffen, alte zu besetzen und umzudeuten und damit nicht nur eine Veränderung der Kommunikation, sondern auch der kommunizierten Inhalte zu bewirken.

Das war nur zu erklären aus dem engen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken und einer spezifischen Manipulation dieses Zusammenhangs, die aufmerksame Beobachter seit langem beschäftigt hat. Der Prophet Jesaja warnte schon vor denen, "die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen" (Jesaja 5.20), und eindrucksvoll hat der griechische Historiker Thukydides die Anfälligkeit einer Demokratie für die Verdrehung der Sprache charakterisiert: "Selbst die gewöhnliche Bedeutung der Worte für die Sachen änderten sie nach Gutdünken: Frechheit ohne Sinn und Verstand war Mannesmut treuer Parteigenossen. Vorsichtiges Zögern - getarnte Angst. Besonnenes Verhalten - Maske des Feiglings. Vernunft in allem - Versagen bei jedem. Verrückter Radikalismus wurde echter Mannesart zugerechnet. ... Wer aber den Hetzern widersprach, war verdächtig. Wem seine Ränke glückten, galt für klug. Für noch bedeutender, wer hinter allem etwas witterte."

Die Liste solcher oder ähnlicher Analysen wäre lang und könnte ergänzt werden um die Empfehlungen der Rhetorik oder die historische Untersuchung des Bedeutungswandels von Leitbegriffen, deren Sinn sich bei entsprechender Einwirkung durchaus umkehren kann. Meistens entstanden sie nicht zweckfrei, sondern verfolgten eine aufklärerische oder entlarvende Absicht, denn: "Die herrschende Sprache ist immer die Sprache der Herrschenden."

Das war den Achtundsechzigern eine Binsenwahrheit, sie haben sie beherzigt und nach vollzogener Machtübernahme im ideologischen Überbau ihrerseits einen Code eingeführt, der zur Bestimmung von erlaubten, unerwünschten und verbotenen Begriffen führte. Jene Worte, die sie als Opposition verwendet hatten, wurden nun als Herrschaftsmittel etabliert. Ein außerordentlich erfolgreiches Konzept, dessen Wirkungen sich noch an den Regeln politischer Korrektheit oder den Sondergesetzen gegen Rechts, die in den letzten Jahre entstanden, ablesen läßt.

Solange dieser kulturrevolutionäre Prozeß nicht abgeschlossen war, wurden die Veränderungen mit Aufmerksamkeit wahrgenommen. Das Eindringen bis dahin negativ geladener oder ungewohnter Begriffe registrierten vor allem die mit Mißtrauen, die befürchten mußten, daß ihre eigenen Sprachregeln solchermaßen verdrängt würden. Heute weiß dagegen kaum noch jemand, daß "Frustration", "Diskriminierung", "Leistungsdruck", "Freiraum", "Emanzipation", "Betroffensein", "Lerninhalt", "Zivilgesellschaft" ihrem Ursprung nach hochideologische Termini der Neuen Linken waren, deren allgemeine Akzeptanz in der Gegenwart auch bedeutet, daß man sich der Weltanschauung des Siegers unterworfen hat und kollaboriert. Auf diese Gefahr wollte Lübbe mit dem eingangs zitierten Satz hinweisen. Das war so vergeblich wie alle ähnlichen Bemühungen bürgerlicher (Erwin K. Scheuch, Helmut Schoeck, Hans Maier) und dezidiert konservativer (Arnold Gehlen, Friedrich Tenbruck, Helmut Schelsky, Joachim Günther) Soziologen, Politikwissenschaftler oder Schriftsteller.

Faktisch hat sich der Jargon der Achtundsechziger vollständig durchgesetzt, so vollständig, daß manche glauben, man könne sich gegen die von diesen heraufgeführte politische Wirklichkeit auch bloß mit Hilfe desselben Jargons zur Wehr setzen. So ist jedenfalls der Vorstoß Frank Schirrmachers in der FAZ aufzufassen, der seine Beschäftigung mit den aktuellen Übergriffen von Ausländern gegen Deutsche in Deutschland kombiniert mit der grundsätzlichen Erwägung über das Unerwartete eines solchen "Rassismus", der eigentlich gar nicht habe auftreten können in einer Gesellschaft, die aufgrund historischer Erfahrung jede Form von "Rassismus" ächtete und den Fremden immer wieder signalisierte, daß man sie gegen Zurücksetzung durch die Autochthonen in Schutz nehmen werde.

Einmal abgesehen von der im Hintergrund wirksamen Anthropologie und Geschichtsauffassung, die offenbar beliebige Erziehung eines Kollektivs für möglich hält, wird man Schirrmachers Irritation über den antideutschen "Rassismus" entweder als naiv oder als vorgeschoben betrachten müssen. Als naiv dann, wenn er tatsächlich gemeint haben sollte, daß die "Anderen" - im Gegensatz zu den Deutschen, Europäern, Weißen - des "Rassismus" gar nicht fähig seien.

Der Blick in eine klassische Darstellung der Völkerkunde belehrt über den Unsinn solcher Mutmaßung. Jede Gruppenbildung, vor allem die primitive, bezieht ihre Stabilität aus der Abgrenzung, das heißt der Klärung des Sachverhalts, daß der Fremde nicht nur nicht so, sondern auch nicht so gut, nicht so schön, nicht so fromm etc. wie die Eigenen ist.

Es ist natürlich aus der Mode gekommen, bei "Indigenen" von "Rassismus" zu sprechen, aber faktisch entspricht deren kollektiver Selbstentwurf ganz genau dem, was die Linke gewöhnlich so apostrophiert. Das vorausgesetzt, mußte jedem klar sein, daß die massenhafte Einwanderung automatisch zu Konflikten führen und daß dabei die Identifikation primär über äußere, also "rassische" Merkmale laufen werde. Wer wissen wollte, konnte seit langem wissen, daß dabei nicht nur fallweise ausgesprochenes Elitebewußtsein von Einwanderern gegenüber Eingesessenen ins Spiel kommen würde (etwa bei religiösen Moslems gegenüber säkularen Nicht-Moslems), sondern auch die ausgesprochene Neigung, die Verteidigungshemmung qua antirassistischer Indoktrination auszunutzen (schon bei der Vergewaltigung deutscher Mädchen durch schwarze GIs, die der Black-Panther-Bewegung angehörten und deshalb von deutschen Progressiven gedeckt wurde).

Bleibt die Möglichkeit, daß Schirrmachers Verwunderung eine vorgeschobene ist, also Teil einer Taktik, die versucht, den Gegner mit eigenen Waffen zu schlagen. Das kann unter Bedingungen, die ganz vom Gegner kontrolliert werden, die einzige Möglichkeit sein. Man macht sich zunutze, daß jeder Ausdruck "akzessorische Gefühle" (Vilfredo Pareto) hervorruft oder solche Gefühle nötigen, einen bestimmten Begriff zu wählen. Wenn also "Rassismus" negative Empfindungen hervorruft und "Anti-Rassismus" positive und ich diese Konnotationen nicht ändern kann, muß ich mich des Begriffs bedienen und zwar so, daß er meinen Zwecken dient. Dieses Ziel zu erreichen, setzt nicht nur ein hohes Maß an Geschicklichkeit voraus, sondern auch eine günstige Lage.

Die Geschicklichkeit Schirrmachers einmal zugegeben, bleibt die Frage, ob die Lage günstig ist. Das wird man kaum behaupten dürfen. Denn das Interesse an den Angriffen der Ausländer war ein aktuelles, kein grundsätzliches. Wahrscheinlich wurde die Wahrnehmung des Problems etwas verschoben, aber eine Stimmungsdemokratie bestimmt das Tempo sich ablösender Neuigkeiten, so daß die Aufmerksamkeit kaum jemals längere Zeit zu konzentrieren ist. Wer tatsächlich Prinzipielles ändern wollte, müßte mit Prinzipiellem beginnen, etwa der Klärung der Sachen durch Klärung der Begriffe.

Vor dieser Aufgabe hat das bürgerliche Zentralorgan FAZ noch jedesmal versagt; daß es in seinem Feuilleton nicht nur ehemaligen, sondern auch praktizierenden Linken einen Wirkungsraum gibt, ist nur ein weiteres Indiz für fehlende Bereitschaft, über Abhilfe ernsthaft nachzudenken. Von dieser Seite sind keine entscheidenden Vorstöße im Kampf um die Worte zu erwarten, sobald deutlicher erkennbar wird, daß es sich notwendigerweise um einen Kampf um die Sache handelt.

In der vorigen Woche erschien in dieser Reihe ein Beitrag von Götz Kubitschek ("Herr im Eigenen bleiben"). Die Debatte wird in der nächsten JF-Ausgabe 7/08 fortgesetzt.

Foto: Francisco de Goya, Schwarzrand-Album, "Durch Schreien erreichst du nichts" (Ausschnitt, 1803-1812): Begriffe müssen her

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